Über die schmerzstillende Wirkung des Methylenblau
Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 24. Spalte 1027, 1890
Aktuell testet man Methylenblau klinisch (erneut) als Schmerzmittel.
“MB Mundspülung ist eine wirksame und sichere Behandlung für hartnäckige Schmerzen aufgrund von Mundschleimhautentzündungen im Zusammenhang mit einer Krebsbehandlung.”1
Neu sind die Daten wahrlich nicht. Aber sie bestätigen die alten Daten.
2 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 24. Spalte 1027, 1890
“Die Wiener Medizinische Wochenschrift erschien als „offizielles Organ des Wissenschaftlichen Vereines der Ärzte in Steiermark, der Medizinischen Gesellschaft für Oberösterreich, der Gesellschaft der Gutachter-Ärzte Österreichs [u. a.]“ von 1851 bis Oktober 1944. Die Zeitschrift ist anfangs im Verlag Ludwig Wilhelm Seidel, später bei Moritz Perles sowie im Verlag Brüder Hollinek erschienen. Zu Beginn wurde sie von Leopold Wittelshöfer (1818–1889), später von Adolf Kronfeld herausgegeben. Ab Februar 1945 erschien als Nachfolger die Medizinische Wochenschrift.
Einer der Mitbegründer im Jahr 1851 war der Sozialhygieniker und Polizeiarzt Andreas Witlacil (1817–1905).”3
Leider sind die Einheiten nicht angegeben. Ich schätze es geht um Gramm, also 0,1g bis 1g. 2perz ist vielleicht 2% Lsg. 4 CC könnte 4 cubiccentimeter = 4 ml sein.
“Über die schmerzstillende Wirkung des Methylenblau haben Prof, P. Ehrlich und Dr. A. Leppmann (Deutsche Med. Wochenschr. Nr. 28, 1890) Versuche angestellt. Sie benützten hierzu chemisch reines, chlorzinkfreies Material und begannen zuerst mit Injektionen von 0.01 und stiegen mit einer möglichst konzentrierten, vielleicht 2perz. Lösung bis zu 4 CC., also zu Einzelgaben von 0.08. Zur inneren Darreichung bedienten sie sich gewöhnlicher Gelatinekapseln, welche das feingepulverte Mittel in Einzelgaben von 0.1—0.5 enthielten. Die höchste Tagesgabe blieb 1.0. Die Injektionen waren schmerzlos und bis auf eine teigig weiche Geschwulst, welche zuweilen einige Tage bestehen blieb, auch reaktionslos. Bei ihnen sowohl, wie bei den inneren Gaben trat auch nach längerem Gebrauche keinerlei schädliche Nebenwirkung auf. Der rasche Übergang des Mittels in die Blutbahn erwies sich selbst bei der geringsten Gabe zweifellos; denn schon nach 1/4 bis einer Stunde nach der innerlichen Verabreichung oder Injektion war der gelassene Urin hellgrün, nach zwei Stunden blaugrün, nach vier Stunden dunkelblau. Die therapeutischen Versuche haben nun ergeben, dass das Methylenblau bei bestimmten Formen schmerzhafter Lokalaffektionen, d. h. bei allen neuritischen Prozessen und bei rheumatischen Affektionen der Muskeln, Gelenke und Sehnenscheiden, schmerzstillendwirkt. Das Mittel wurde in Bezug auf die Sicherheit seiner Wirkung in circa 25 Fällen der genannten Lokalaffektionen versucht, es blieb nie ganz ohne Wirkung; in den bei weitem meisten Fällen war diese so anhaltend und erheblich, dass sie dem Kranken selbst in der deutlichsten und behaglichsten Weise zum Bewusstsein kam. Bei anderen Organleiden, wie z. B. bei den Dolores osteocopi einer Lues, bei heftiger Schmerzhaftigkeit eines Magengeschwüres versagte das Mittel; ebenso wirkte es auch nicht auf allgemein neurasthenische Symptome, während damit in zwei Fällen von angiospastischer Migrain ein günstiger Erfolg erzielt wurde.”
Dolores osteocopi = nächtliche bohrende Knochenschmerzen bei Syphilis, besonders im Schienbein und in den Schädelknochen4
Lues = Syphilis5
Neurastenie = vermehrte geistige Ermüdbarkeit bzw. Erschöpfung nach geringer körperlicher Anstrengung.6
Der original Artikel, auf welchen man sich in obigen Artikel bezieht ist wahrscheinlich dieser:
Paul Ehrlich 1890 über Methylenblau
Ich hatte schon im Juli 2023 einen Artikel über Methylenblau geschrieben.
7 Neuigkeits-Welt-Blatt, Februar 1897
“Interessantes aus aller Welt
Wilde Ehen in Bayern. Man schreibt aus München: In einer amtsgerichtlichen Verhandlung hat ein Polizeikommissär erklärt, dass in seinen Bezirke (Vorstadt Haidhausen) allein mindestens 2900 Personen in wilder Ehe leben, obgleich das Konkubinat in Bayern durch das Polizeistrafgesetz unter Strafe gestellt ist.
Die Kosten der städtischen Schneeabfuhr belaufen sie in diesem Winter in Berlin auf etwa 1.250.000 Mark. Es ist dies der höchste Betrag, den Berlin bis jetzt in einer Kampagne für die Schneeabfuhr aufgewandt hat. In Wien tut man’s wohlfeiler. Man verlässt sich auf die freundliche, wenn auch in jetziger Jahreszeit nicht gerade ausgiebige Beihilfe der Frau — Sonne!
Ein Farbstoff als Heilmittel gegen nervöse Kopfschmerzen wird einem Arzte angelegentlich empfohlen. Es handelt es um das sogenannte Methylenblau. Nach den allerdings nicht allzu zahlreichen Beobachtungsfällen stellt das Methylenblau eine gerade bei nervösen Kopfschmerzen und Migräne höchst auffällig wirkendes Heilmittel dar, welches im Stande ist, Schmerzen die jeder anderen Behandlung getrotzt haben, nicht nur augenblicklich zu stillen, sondern dauernd zu beseitigen. In einem Falle hält die günstige Wirkung bereits seit vier Jahren an, was um so bemerkenswerter ist, als es sich dabei um eine Frau handelte, die “wegen ihrer ständigen quälenden Kopfschmerzen bereits hochgradig melancholisch geworden war. Die Verordnung unterliegt natürlich ärztlicher Kontrolle.”
8 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 10, 1899, S. 476
“22. Bei Neuralgie, resp. bei Migräne empfiehlt E. Thomson (Gaz. hebdom. de med. et chir. Nr. 2, 1899): Methylenblau, Nueis vomic. aa 0.01 g. Da in caps. gel. “
9 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 25, 1907, S. 1240
“In der Diskussion betont v. Noorden (Wien) nachdrücklichst, dass jeder Patient einer länger dauernden Bettruhe bedarf. Unbedingte Bettruhe und einige Aspiringaben verhüten späteres Leiden. Akute Neuralgien im Anschluss an akute Infektionskrankheiten werden oft in 2—3 Tagen durch nicht zu kleine Dosen Methylenblau geheilt.”
10 Prager Tagblatt N2. 106, 18. April 1907, Seite 10
“v. Noorden. Wien spricht über die Behandlung des frischen Ischias. Die Kranken gehören in frischen Fällen für lange Zeit ins Bett. Mit sofortiger, länger dauernder Ruhe, die durch angemessene Medikamente zu unterstoßen ist, erzielt man die besten Erfolge und kann man oft verhindern, dass das Leiden ironisch wird. Bei frischen Neuralgien nach Infektionskrankheiten, besonders Influenza, bewährt sich Methylenblau.”
11 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 40, 1926, S. 1184
”Als schmerzstillendes Mittel außerhalb der angeführten Reihe wurde vom großen Chemotherapeuten Ehrlich das Methylenblau empfohlen. Gelegentlich versuchen Sie es täglich zu 0,1—0,2 gemengt mit Pulv. inc. moscati in capsul. amylae. Die Wirkung kommt erst nach mehreren Stunden, der Harn geht nach dieser Medikation blau gefärbt ab. Bei jeder länger dauernden Krankheit soll man vor allem den Schmerz stillen; nach einer schmerzlosen Nacht wird die Hoffnung des Kranken gehoben und er blickt zum Arzt auf wie zu einem Retter.“ (Schmerzbehandlung bei Nervenkrankheiten. Von Regierungsrat Professor Dr. SIEGMUND ERBEN. II. (Schluß zu Nr. 38.)
Roldan CJ, Chung M, Feng L, Bruera E. Methylene Blue for the Treatment of Intractable Pain From Oral Mucositis Related to Cancer Treatment: An Uncontrolled Cohort. J Natl Compr Canc Netw. 2021 Jan 4;19(5):521-527. doi: 10.6004/jnccn.2020.7651. PMID: 33395626. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33395626/
Wikipedia-Autoren. (2011, July 20). Wiener Medizinische Wochenschrift. https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Medizinische_Wochenschrift
Medizin: Dolor | Otto Dornblüth https://www.textlog.de/dornblueth/medizin-d/dolor
Syphilis - DocCheck Flexikon https://flexikon.doccheck.com/de/Syphilis
Neurasthenie - DocCheck Flexikon https://flexikon.doccheck.com/de/Neurasthenie