Methylenblausilber (Argochrom)
Methylenblau und Silber in Kombination + die damaligen Anwendungen
1913 veröffentlichten Dr. Adolf Edelmann und Dozent Dr. Albert v. Müller-Deliam ein Rezept für Methylenblausilber, welches später von Merck vertrieben wurde.
“Über die Strukturformel yon Argochrom liegen keine näheren Angaben vor. Man nimmt an, dass jeweils zwei Methylenblau-Moleküle komplex über zwei Ag+- Ionen gebunden sind.”1
2 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 38, 1919, S. 1834
Da heutzutage einige Menschen sowohl kolloidales Silber als auch Methylenblau nutzen, ist zu bedenken, dass sich deren Wirkung gegenseitig potenzieren könnte, und man unter Umständen daher bei gleichzeitigem Einsatz mit der Dosierung aufpassen muss.
Die Datenlage zur antibakteriellen Wirkung von Silber wird auch von aktueller Literatur weiterhin gestützt.3 4 5 6 7 8 9
Kurzum: “Die Studiendaten bestätigen, dass ionisches kolloidales Silber ein Breitband-Antimikrobiotikum gegen aerobe und anaerobe Bakterien ist, während es gegen Pilze ein begrenzteres und spezifischeres Wirkungsspektrum aufweist.”10
“Silber hat eine lange und faszinierende Geschichte als Antibiotikum in der menschlichen Gesundheitspflege. Es wurde für die Verwendung in der Wasseraufbereitung, Wundversorgung, Knochenprothesen, rekonstruktiven orthopädischen Chirurgie, Herzgeräten, Kathetern und chirurgischen Instrumenten entwickelt. Dank der fortschreitenden Biotechnologie kann ionisierbares Silber in Textilien für den klinischen Gebrauch integriert werden, um das Risiko nosokomialer Infektionen zu verringern und die persönliche Hygiene zu verbessern. Die antimikrobielle Wirkung von Silber oder Silberverbindungen ist proportional zu den freigesetzten bioaktiven Silberionen (Ag(+)) und deren Verfügbarkeit für die Wechselwirkung mit bakteriellen oder pilzlichen Zellmembranen. Silbermetall und anorganische Silberverbindungen ionisieren in Gegenwart von Wasser, Körperflüssigkeiten oder Gewebeexsudaten. Silberionen sind biologisch aktiv und gehen leicht Wechselwirkungen mit Proteinen, Aminosäureresten, freien Anionen und Rezeptoren auf Säugetier- und eukaryotischen Zellmembranen ein. Die Empfindlichkeit von Bakterien (und wahrscheinlich auch Pilzen) gegenüber Silber ist genetisch bedingt und hängt vom Grad der intrazellulären Silberaufnahme und dessen Fähigkeit ab, mit wichtigen Enzymsystemen zu interagieren und diese irreversibel zu denaturieren. Silber weist im menschlichen Körper eine geringe Toxizität auf, und aufgrund der klinischen Exposition durch Inhalation, Verschlucken, dermale Anwendung oder über den urologischen oder hämatogenen Weg ist nur ein minimales Risiko zu erwarten. Chronische Einnahme oder Inhalation von Silberpräparaten (insbesondere kolloidalem Silber) kann zur Ablagerung von Silbermetall-/Silbersulfidpartikeln in der Haut (Argyrie), den Augen (Argyrose) und anderen Organen führen. Diese Zustände sind nicht lebensbedrohlich, aber kosmetisch unerwünscht. Silber wird vom menschlichen Körper aufgenommen und gelangt als Proteinkomplex in den systemischen Kreislauf, wo es über Leber und Nieren ausgeschieden wird. Der Silberstoffwechsel wird durch Induktion und Bindung an Metallothioneine moduliert. Dieser Komplex mildert die zelluläre Toxizität von Silber und trägt zur Gewebereparatur bei. Eine Silberallergie ist eine bekannte Kontraindikation für die Verwendung von Silber in medizinischen Geräten oder antibiotischen Textilien.”11
Und ja, auch kolloidales Silber ist ein Medikament und kann daher auch Nebenwirkungen haben.12
Es ist somit tatsächlich nur logisch Methylenblau und Silber zu kombinieren. Die Frage, die damals zu klären war, war nur, wie verändert sich dadurch die Wirkung, die von den beiden Einzelsubstanzen bereits gut erforscht war.
Da Methylenblausilber (Agrochrom) jedoch bereits von einer Pharmafirma hergestellt wurde und teils berichtenden Ärzten für ihre Versuche kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, sind einige der Berichte sicherlich mit Vorsicht zu genießen. Andererseits sind es diverse Berichte über mehrere Jahre, teilweise aus Protokollen von Sitzungen medizinischer Gesellschaften.
“Aus der I. Medizinischen Klinik der Universität in Wien.
(Vorstand: Hofrat Prof. Karl v. Noorden).
Neue therapeutische Versuche bei
allgemeinen und lokalen Infektionen.')
Von Dr. Adolf Edelmann
und Dozent Dr. Albert v. Müller-Deliam.
Von den bekannten chemotherapeutischen Grundsätzen ausgehend, haben wir die Wirksamkeit einer von uns neu dargestellten Farbstoffmetallverbindung erprobt. Als Komponenten haben wir Methylenblau und Silber gewählt, denn beide stehen in der Therapie der Infektionskrankheiten seit langem in Verwendung, und die eine Komponente stellt eine vitalfärbende Substanz dar, deren Eigenschaften von Ehrlich genau studiert wurden. Es war daher daran zu denken, dass einerseits eine gegenseitige Wirkungssteigerung im Sinne der Potenzierungstheorie (Bürgi) möglich sei, wie auch daran, dass das Methylenblau anderseits das Vehikel darstellen könnte, um die Silbergruppe zu verankern und zur Wirkung zu bringen (Schienentheorie von Ehrlich, Wassermann).
Die mit Hilfe des Chemikers Dr. J. Flaschen hergestellte Verbindung ist ein intensiv blaues Pulver, das in Wasser leicht löslich ist, 24 % Silber enthält, die färberischen Eigenschaften des Methylenblaus aufweist und kolloid ist. Sie zeigt bemerkenswerte bakterizide Eigenschaften. So wirkt sie z. B. auf die gewöhnlichen Eitererreger (Staphylokokken und Streptokokken), auf Bakterium coli und Fäulnisbakterien noch in einer Verdünnung von 1:160 000 keimtötend, während im Blute, wo viele Antiseptika versagen, noch die Verdünnung von 1 : 30 000 sterilisierend, 1 : 80 000 noch stark entwicklungshemmend wirkt.
In der Versuchsanordnung nach Pezzoli (Überschichtung der infizierten Gelatineröhrchen mit einer Lösung der zu prüfenden Substanz) dringt unser Präparat in 24 Stunden bis zum Grund des Röhrchens, bis zu einer Tiefe von 10 cm vor, während die bisher in der Therapie der Gonorrhoe gebräuchlichen Silberpräparate nur 1,8 cm Tiefe erreichen. Dabei trat eine Sterilisierung des gesamten Röhrcheninhaltes ein.
Die Verbindung ist wenig toxisch. Per os wird sie vom Versuchstier nahezu unbeschränkt vertragen. Subkutan liegt die tödliche Dosis für die Maus (15 g) bei 0,01 g, vom Kaninchen (2 kg) wird 0,2 ohne weiteres vertragen, weit höhere Dosen vom Hunde, so dass die theoretisch zulässige Dosis für den Menschen die höchste bisher von uns angewandte Dosis (0,4) mehr als zehnfach überschreiten würde.
Intravenös vertragen Kaninchen 0,05 der Substanz, eine Dosis, welche die intravenöse Anwendung beim Menschen keineswegs erschweren würde. Doch betonen wir ausdrücklich, dass wir über die intravenöse Applikation an Patienten noch keine Erfahrung haben und dass die Ausarbeitung der intravenösen Dosierung und Konzentration noch weiterer Studien bedarf. (Die Herstellung werde der Firma E. Merck, Darmstadt, übertragen.)
Wir haben bei allgemeinen Infektionen subkutane oder intramuskuläre Injektionen von 0,1—0,4 der Substanz gemacht, in 5—20 ccm H2O gelöst und diese in Abständen von einigen Tagen wiederholt. Die Injektionen sind im allgemeinen als wenig oder mäßig schmerzhaft zu bezeichnen, Ausnahmen kamen vor. Geringe Infiltrationen an der Injektionsstelle, die sich zuweilen bilden, gehen rasch zurück, nur in zwei Fällen kam es etwa acht Tage nach der letzten Injektion zu sterilen Abszedierungen, die chirurgisch behandelt werden mussten. Die Ausscheidung des Farbstoffes erfolgt zum weitaus größten Teil im Laufe von Tagen mit dem Harn.
Eine Verfärbung der Haut tritt niemals ein. Nebenwirkungen irgendwelcher Art, insbesondere im Bereich der Zirkulationsorgane, der Nieren, des Zentralnervensystems oder des Verdauungsapparates, haben wir in keinem Falle beobachtet.
Wenn wir nunmehr auf die Besprechung der behandelten Fälle übergehen und zunächst die allgemeinen Infektionen behandeln, so scheint uns die Einwirkung des Mittels trotz aller gebotenen Skepsis außer Zweifel zu stehen, obwohl wir uns wohl bewusst sind, dass die Anzahl der Fälle noch zu gering ist, um ein definitives Urteil über die Stellung des Präparates in der Therapie der Allgemeininfektionen zu ermöglichen.
Die ausführliche Publikation der Einzelfälle behalten wir uns vor. Wir sind zu einer Publikation unseres Materials vor allem aus dem Grunde geschritten, weil wir unser Präparat auch bei lokalen Prozessen, darunter der Gonorrhoe, angewandt haben. Wir haben auch bereits eine Reihe von anderen Silberfarbstoffverbindungen hergestellt, über deren pharmakologische und therapeutische Eigenschaften wir seinerzeit berichten werden. Nun bringt eine Publikation von Bruck und seinen Mitarbeitern in dieser Wochenschrift vom 23. Oktober die therapeutische Verwendung einer Silberfarbstoffverbindung (Uraninsilber—Uranoblen) auf dem engeren Gebiete der Gonorrhoe.
Sie ist die Wiedergabe eines Vortrages, der auch ähnliche theoretische Gesichtspunkte enthält wie unsere Ausführungen. (Beide Vorträge wurden auf der gleichen Tagung in Wien, Dermatologische Gesellschaft resp. Naturforschertag, gehalten, also gleichzeitig und unabhängig voneinander. Unsere ersten Versuche erfolgten im Herbst 1912.)
Zunächst kommen 11 Fälle von Blutvergiftung, meistens Staphylokokken- und Streptokokken-Sepsis, in Betracht, darunter 9 Heilungen, 2 Todesfälle, die beiden letzteren an Komplikationen.
Der eine Fall von diesen, eine schwerste Sepsis, reagierte auf die Injektionen mit Temperaturabfall und Verringerung der Schmerzen. Am zweiten Tage trat plötzlicher Exitus ein, wie die Obduktion zeigte, an einer Embolie der Lungenarterien, von septischen Thrombosen ausgehend.
Der zweite Fall, eine Streptokokken-Sepsis bei einem hochgradigen unkompensierten Vitium, war bereits seit acht Tagen nach den Injektionen fieberfrei, als Herztod eintrat. Die ungewöhnliche Schwere der Veränderungen am Endokard, am Herzmuskel und an den Herzgefäßen erklärte ihn ausreichend.
Die übrigen Fälle heilten im allgemeinen sehr rasch. An den folgenden Kurven können wir den Typus der Einwirkung auf den Temperaturablauf der Injektionen auf die Temperatur demonstrieren, wobei sich ein Unterschied der Beeinflussung zwischen Bakteriämien und Pyämien ergibt. Bei den Bakteriämien (Kurve 1 u. 2) pflegt der Abfall der Temperatur prompt zu sein, während bei Pyämien, z. B. einer otogenen Sepsis oder einer Puerperalsepsis (siehe Kurve 3), die Einwirkung zunächst nicht eindeutig war, während die Kraft der Infektion gebrochen schien und der Allgemeinzustand wesentlich besser wurde.
Die beiden letzterwähnten Fälle haben nach dem Urteil der behandelnden Ärzte eine ganz infauste (=ungünstige) Prognose gegeben, sie waren bereits, wie die Mehrzahl unserer Fälle überhaupt, mit anderen Methoden, darunter mit kolloidalem Silber, vorbehandelt. Wie schwer es ist, über die therapeutische Beeinflussung der septischen Prozesse ein Urteil zu gewinnen, ist jedem klinisch Arbeitenden klar. Wir können uns jedoch nicht enthalten, der Überzeugung einer günstigen Beeinflussung Ausdruck zu geben.
Ferner haben wir über 7 Fälle von akutem Gelenkrheumatismus zu berichten, die sämtlich ohne jede andere Therapie ausheilten. Darunter waren mehrere Patienten, die gegen Salizylate und Atophan refraktär geblieben waren. Die erste Wirkung der Injektion war Verringerung von Schmerz und Schwellung. Das Fieber sank lytisch ab (siehe Kurve 4). Ein weiterer Fall, der dann unter Salizyltherapie aasheilte, reagierte zunächst nicht ausgiebig. Auch die Komplikationen, je ein Fall von Endokarditis und Perikarditis, verschwanden in unseren Fällen. Die exsudative rheumatische Perikarditis zweier Patienten heilte auffallend rasch.
Der eine Patient hatte durch viele Wochen hoch gefiebert, eine infauste Prognose gegeben, seine Kurve ist in Fig. 6 wiedergegeben.
“Fälle von Tuberkulose und Lymphogranulomatose schienen nicht wesentlich beeinflusst zu werden, ebenso wenig ist eine Beeinflussung des Ablaufes der kruppösen Pneumonie sichergestellt, ja, eine sehr schwere beiderseitige Affektion kam zum Exitus. Ausscheidung der Substanz im Sputum findet nicht statt.
Dagegen wurde ein Fall von lange bestehendem postpneumonischen Fieber rasch zur Heilung gebracht.
Bei 4 Fällen bestand Fieber ohne klare Ursache, einer heilte, zwei blieben unbeeinflusst auch von aller anderen Therapie. Es handelte sich beide Male um subphrenische Abszesse, von denen der eine nach der Operation starb, der zweite genas. Bei diesen Fällen wurde die Temperatur nur vorübergehend niedriger. Abgesackte Eiterungen scheinen sich überhaupt nicht subkutan beeinflussen zu lassen, sondern nur lokal.
Unklar blieb der 4. Fall, bei dem hohes Fieber zunächst nach den Injektionen für 14 Tage verschwand, dann wiederkehrte, im weiteren Verlaufe ebenso wenig von Methylenblau-Silber als von anderer Therapie zu beeinflussen war, schließlich in Heilung überging. Eine schwere Pyelitis mit monatelangem hohen Fieber wurde entfiebert, der Harnbefund wesentlich gebessert. Von zwei Fallen von Colitis wurde bei lokaler Behandlung der eine geheilt, der andere nur mäßig günstig beeinflusst.
Damit sind wir bei der lokalen Behandlung angelangt. Hier sind zunächst 7 Fälle von Furunculosis zu erwähnen. Sämtliche, mit Injektionen kleiner Mengen in die Furunkeln behandelt, heilten überraschend prompt, während die zur Kontrolle unbehandelten weiter bestanden. Drei Fälle wurden von Hofrat v. Noorden behandelt. ,,Es handelte sich Diabetiker mit häufig rezidivierenden kleinen Furunkeln oder Aknepusteln, und es wurde zu wiederholten Malen an die Basis der Knoten oder in ihre Mitte etwas von dem Präparat eingespritzt. Die entzündliche Infiltration bildete sich schnell zurück und die Eiterung kam zum Stillstand.“ Ein sehr elendes Kind mit allgemeiner Furunkulose wurde bei Subkutanbehandlung vorübergehend sehr günstig beeinflusst, starb aber später unter anderer Therapie an Entkräftung.
Zu größtem Dank sind wir Herrn Prof. v. Zumbusch, sowie dessen Assistenten, Herrn Dr. Saphier, verpflichtet, die eine ausgedehnte Erprobung des Mittels an über 120 Fällen von Bubo suppurativus vornahmen. Sie werden über ihre sehr günstigen Resultate in einer besonderen Publikation berichten.
Die therapeutischen Versuche bei Gonorrhoe haben wir bereits im Dezember 1912 veranlasst, sie sind aus äußeren Gründen noch nicht spruchreif, obwohl sie eine sehr energische Beeinflussung des Prozesses sicherstellen. Auch hierüber wird die Publikation von fachlicher Seite erfolgen, und den Fachleuten wird es Vorbehalten bleiben, den Wert der Substanz in der Therapie der Gonorrhoe festzustellen.
Es ist noch nicht an der Zeit, über Dosierung und Indikationen des neuen Präparates Definitives zu sagen. Die Indikationen werden sich voraussichtlich bereichern und präzisieren lassen. Ganze Krankheitsgruppen sind noch nicht in Angriff genommen. Die Verwendung in der Chirurgie und bei eitrigen Prozessen bietet günstige Aussichten.
Inwieweit Steigerung der Dosen oder andersartige, z. B. intravenöse Applikation eine weitere Verbesserung der therapeutischen Wirksamkeit und Abkürzung des Krankheitsverlaufes bedingen kann, muss noch dahingestellt bleiben. Wir sind bisher weit unter der theoretisch zulässigen Dosis geblieben, glauben aber behaupten zu müssen, dass schon nach den bisherigen Resultaten das neue Mittel einen Fortschritt in der inneren Antisepsis und bei der Behandlung mancher lokalen Infektionen darstellt.“
Ein genaueres Rezept des Methylenblausilber findet man in der Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, Januar-Juni 1914 Nr. 5 S. 711-715 14
“Methylenblausilber bei eitrigen Mittelohrentzündungen. Vortrag, gehalten in der Österr otolog. Gesellschaft am 27. April 1914.
Von Dr. Ernst Urbantschitsch
Methylenblau mit Silber zu einem Mittel zu vereinen, erschien mir ein glücklicher Gedanke, da ersteres eine — besonders bei infektiösen Erkrankungen — schon lange erprobte Substanz ist (ich verweise diesbezüglich auf die Untersuchungen Ehrlichs sowie die ausgedehnten Versuche Escherichs an der Grazer Kinderklinik) und ich der Ansicht bin, dass färbigen beziehungsweise färbenden Medikamenten häufig eine besondere Heilkraft innewohnt (Thigenol, Teer, Pikrin etc.); andrerseits ist der große therapeutische Wert des Silbers allgemein bekannt und speziell in der Otologie leistet die Behandlung mit Silbersalzen ganz vorzügliche Dienste (Argentum nitricum, Ichthargan, Protargol, Kollargol, Elektrargol etc.). Daß nunmehr aus den genannten beiden Substanzen eine neue Verbindung — das „Methylenblausilber“ — hergestellt wird, ist ein Verdienst von A. v. Müller-Deham und A. Edelmann (S. Naturforscher- und Ärzteversamml., Wien, September 1913, und D. m. W. 1913. Nr. 47: „Neue therapeutische Versuche bei allgemeinen und lokalen Infektionen.“), die das Mittel allerdings weniger für lokale als allgemein-septische Prozesse, akuten Gelenkrheumatismus etc., in Anwendung brachten. Sonst wurde das Mittel bisher nur, soweit mir bekannt ist, bei Gonorrhoe, Furunkulosis und Bubo suppurativus angewendet und soll besonders bei letzterem günstige Resultate gezeitigt haben (eine Publikation darüber steht noch aus). Da das Medikament noch nicht im Handel ist, wurde mir ein größeres Versuchsquantum von der Firma E. Merck in Darmstadt, der die Herstellung des Mittels übertragen worden war, freundlichst zur Verfügung gestellt, wodurch “
“ich in die Lage versetzt wurde, sowohl in meiner Privatordination wie in dem von mir geleiteten Ambulatorium für Ohrenkranke des k. k. Kaiser Franz Josef-Spitales in Wien umfassende Versuche anzustellen.
Methylenblausilber ist ein intensiv blaues Pulver, das in Wasser leicht löslich ist, 24% Silber enthält, die färberischen Eigenschaften des Methylenblaus aufweist und kolloid ist. Wie groß seine bakterioide Kraft ist, geht (nach der erwähnten Publikation von Edelmann und Müller-Deham) schon daraus hervor, daß es auf die gewöhnlichen Eitererreger (Staphylo- und Streptokokken), auf Bacterium coli und Fäulnisbakterien noch in einer Verdünnung von 1:160.000 keimtötend wirkt, während im Blute, wo viele Antiseptika versagen, noch die Verdünnung von 1: 30.000 eine sterilisierende, 1 : 30.000 noch eine stark entwicklungshemmende Wirkung entfaltet. Von großer Wichtigkeit für die externe Medikation ist auch der Umstand, dass das Mittel per os vom Versuchstier nahezu unbeschränkt vertragen wird, also nicht toxisch wirkt.
Zur Behandlung habe ich Methylenblausilber in zweifacher Form angewandt:
1. als Lösung und
2. als Pulver.
Zur Herstellung der Lösung verwende ich den Inhalt einer Phiole à 0.1 oder 0.2 des Pulvers in 10 cm³ destillierten Wassers, demnach eine 1—2/ige Solution. Anfangs bereitete ich die Lösung mit steriler physiologischer Kochsalzlösung, kam jedoch bald hiervon ab, da sich in dem betreffenden Glas ein Bodensatz bildete (wahrscheinlich eine Verbindung des Chlors aus dem Kochsalz mit einem Teil des Silbers zu Chlorsilber), der bei Verwendung von bloß destilliertem Wasser nicht auftritt. Von dieser Lösung werden mehrere Tropfen in das vorher gut gereinigte Ohr für etwa 1 Minute eingeträufelt, worauf man die Flüssigkeit wieder durch Neigung des Kopfes (so daß das zu behandelnde Ohr nach unten gerichtet ist) auslaufen läßt. Ein nachträgliches Austupfen der Paukenhöhle mit kleinen sterilen Tupfern scheint den Erfolg zu beeinträchtigen, wahrscheinlich weil durch die noch so vorsichtig vorgenommene Manipulation der zarte Ätzschorf mit entfernt oder doch gestört wird. Ich habe deshalb in letzterer Zeit die Paukenhöhle nach der Behandlung nicht mehr berührt, sondern, nachdem die ganze überschüssige Flüssigkeit ausgetropft war, den Gehörgang nur außen mit Watte oder einem Stückchen steriler weißer Gaze verschlossen. In den Fällen einer eitrigen Tubenerkrankung empfiehlt es sich, zunächst die Paukenhöhle zu reinigen, dann das in der Ohrtrompete befindliche Sekret durch Luftkompression im äußeren Gehörgang („Fistelsymptomversuch“) zu entfernen, hierauf einige Tropfen der Lösung einzuträufeln, nunmehr die Luftkompression zu wiederholen und so das Mittel durch die Tube durchzutreiben. (Die Patienten schnauben beziehungsweise spucken nach dieser Prozedur blaue Flüssigkeit aus, worauf selbe aufmerksam zu machen sind!)”
“Infolge der großen Färbekraft der Lösung ist natürlich besondere Vorsicht geboten, dass selbe nur mit Paukenhöhle und Gehörgang in Berührung kommt! (Übrigens lässt sich eine eventuelle Blaufärbung der Haut mit Hilfe von Wasser leicht beseitigen.) Auffallend ist jedenfalls, wie ungemein intensiv sich die Paukenhöhle bei der Behandlung blau färbt, eine Blaufärbung, die nicht nur bei trocken bleibendem Ohr noch nach Monaten wahrzunehmen ist, sondern selbst bei bestehender Eiterung, wenn das Ohr nicht ausgespritzt oder sonstwie gereinigt wird, noch lange anhält.
Zwecks Trockenbehandlung habe ich Methylenblausilber mit Borsäure gemischt als Pulver verwendet:
Rp. Methylenblausilber 0.1
Acidi bomiri 10.0
M. f. pulvis subtilissime pulverisatus.
S. 1% Methylenblausilberborsäure
Es ist ein lichtblaues, feines Pulver, das sich nicht zu Klümpchen ballt, sich daher in sehr zarter Schicht auf die Schleimhaut aufblasen lässt und eine ausgesprochene Blaufärbung der insufflierten Partien bewirkt.
Indikationsgebiet:
a) Für die Instillationen eignen sich:
1. alle eitrigen Schleimhautentzündungen der Paukenhöhle mit genügend großer Perforationsöffnung des Trommelfelles, so dass das Mittel leicht in die Paukenhöhle ein- und ausfließen kann;
2. Tubeneiterungen, wenn zum Beispiel infolge des kindlichen Alters, besonderer Empfindlichkeit oder dgl. das von mir angegebene Verfahren!) nicht durchgeführt werden kann;
3. als Nachbehandlung nach Totalaufmeisselung der Mittelohrräume (ohne Tamponade), wenn keine allzu starke Sekretion vorhanden ist;
4. Zur Behandlung von Nasen- und insbesondere Nasenrachenkatarrhen (an Stelle der üblichen Lapisbehandlung).
Im allgemeinen scheinen sich besonders die Fälle zur Methylenblausilbereinträuflung zu eignen, die man bisher mit Lapis behandelt hat, vor dem das Mittel aber den Vorzug hat, intensiver und dabei doch reizloser zu wirken.
b) Für die Pulverbehandlung eignen sich Fälle mit großer Trommelfell Perforation und nur geringer Sekretion.
Im Nachfolgenden erlaube ich mir, einige Beispiele von günstigen Erfolgen der Methylenblausilberbehandlung mitzuteilen, wobei ich aber ausdrücklich bemerken will, dass es sich nur um Beispiele handelt, dass ich einerseits noch über viele andere günstige Erfolge verfüge, andrerseits aber auch natürlich eine Reihe von Fällen sah, in denen der Erfolg ausblieb.”
15 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 31, 1914, S: 1788f
“Berichte aus den wissenschaftlichen Vereinen. Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien. Sitzung vom 26. Februar 1914.
(Offizielles Protokoll.)
Vorsitzender: Prof. Dr. Chvostek.
Schriftführer: Assistent Dr. Byloff.
I. Dr. Alfred Arnstein: Über Methylenblausilberbehandlung nach v. Müller und Edelmann. (Aus der III. medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses, Prof. Schlesinger.) Wortragender stellt 2 Fälle vor, die mit Methylenblausilber, das Doz. Dr. v. Müller und Dr. Edelmann zur Verfügung gestellt hatten, behandelt worden waren.
Bei dem ersten Falle handelt es sich um eine 31 jährige Frau mit septischer Erkrankung nach Abortus, trotz Kurettement andauerndes hohes Fieber und schwerer Allgemeinzustand; Verbreiterung der Herzdämpfung nach rechts, unreiner 1. Ton an der Spitze, lauter 2. Pulmonalion, 116 Pulse in der Minute, Dämpfung über den abhängigen Lungenpartien beiderseits mit abgeschwächtem Atemgeräusch; Unterbauch druckschmerzhaft, beiderseitiges parametrales Infiltrat; im katheterisierten Harn Eiweiß und Erythrocyten. Im Blut 17.300 Leukocyten in 1 mm³; kultureller Befund negativ. Fünfkronenstück großer Decubitus ad sacrum. Die Kranke erhielt 2 intravenöse Injektionen von 0,12 und 0,1 Methylenblausilber; abgesehen von einer deutlichen, allerdings geringen unmittelbaren Beeinflussung der Temperatur war die Wirkung auf den Allgemeinzustand eine eklatante: das Beklemmungsgefühl schwand, der Dekubitus ging zurück, die früher vorhandenen Durchfälle standen. 4 Tage nach der 2. Injektion war die Temperatur nur mehr subfebril (bis 37'709) und nach weiteren 10 Tagen afebril.
Der zweite Fall betrifft ein 17 jähriges Mädchen mit Polyarthritis rheumatica und rezidivierender Endokarditis; neben multiplen Gelenkschwellungen waren bei der Aufnahme die Symptome einer Mitralinsuffizienz und Stenose und Aorteninsuffizienz vorhanden. Nach Aspirin Schwinden der Gelenkschwellungen, doch blieb die Temperatur noch erhöht über 38°. Patientin. klagte über Schmerzen in der Herzgegend. 2 Tage nach subkutaner Darreichung von 02 g Methylenblausilber war die Kranke schmerzfrei und hatte nur mehr Temperaturen bis 37,3°.
Außer diesen demonstrierten Fällen wurden noch 6 Fälle mit dem Präparat behandelt:
1 Fall von rekurrierender Endokarditis mit subfebrilen Temperaturen, bei dem Kollargoltherapie (in Klysma) im Stich gelassen hatte;
1 Fall von Polyarthritis rheumatica, der trotz hoher Aspiringaben weiter fieberte und Gelenkschmerzen hatte;
ferner 1 Fall von Erysipel des Gesichtes.
Auch bei diesen 3 Fällen schien der Krankheitsprozess durch die Injektion günstig beeinflusst zu werden.
Keinen Erfolg sahen wir bei einem Pat. mit einer von der Appendix ausgehenden Sepsis, bei dem auch 4 intramuskuläre Injektionen von Elektrargol ganz wirkungslos waren; die Autopsie ergab einen nur wenig veränderten Wurmfortsatz, ein Empyem der rechten Pleura, Abszesse in beiden Nieren.
Ferner war das Mittel auch bei 2 Fällen, bei denen es sich anscheinend um tuberkulöse Affektionen des Hüftgelenkes resp. der Lunge handelte, wirkungslos.
Üble Nebenwirkungen des Präparates beobachteten wir bei 14 von uns vorgenommenen (6 intravenösen, 8 subkutanen) Injektionen so gut wie keine; ein leichter Kollaps, den die sehr heruntergekommene Kranke mit der tuberkulösen Koxitis nach der intravenösen Injektion von 0,2 g des Mittels hatte, ging rasch vorüber; solche Zufälle werden sich bei Anwendung kleinerer Dosen (0.1-0.15 g) bei der intravenösen Injektion leicht vermeiden lassen. Bei subkutaner Darreichung gaben wir in der Regel 0,2 g in 20 cm³, sterilen destillierten Wassers gelöst, ohne störende Nebenwirkungen, insbesondere ohne intensivere lokale Schmerzen. Die guten Resultate, die wir bei 5 von 3 behandelten Fällen, von denen 2 von vornherein als für die Behandlung ungeeignet auszuscheiden sind, erreichten, rechtfertigen den Schluss, dass wir das Methylenblausilber als ein bei der Behandlung septischer und rheumatischer Erkrankungen recht wirksames Mittel betrachten.
Dr. H. Pollitzer behandelt seit einiger Zeit Anginen auch äußerlich mit Methylenblausilber, indem mit ihm die Tonsillen energisch eingerieben werden. Diese Therapie scheint sehr gut zu wirken.
Doz. Dr. v. Müller weist auf die Wichtigkeit der Technik in der Anwendung von Methylenblausilber hin. Intramuskuläre Injektionen können zuweilen zu Abszessen führen, sind daher zu vermeiden, während bei subkutaner Injektion solche nie beobachtet werden. Vollständige Lösung ist notwendig. Bei intravenösen Injektionen wäre als erste Dosis 0,1 g zu wählen, diese eventuell vorsichtig zu steigern. Es ist selbstverständlich, dass das neue, von Dr. Edelmann und v.M. eingeführte Mittel kein Allheilmittel in jedem Falle septischer Erkrankung darstellt, es sind auch Fälle gesehen worden, wo das Mittel versagt hat, wobei zum Teil die Obduktionen die Ursachen zeigten (ausgedehnte Veneneiterungen und Abszesse). Auf der anderen Seite wird einen Reihe von Erfolgen bei schwer septischen Fällen erwähnt. Frühe Anwendung ist anzustreben.”
“Aus der I. Medizinischen Universitätsklinik und aus der Medizinischen Abteilung des k. k. Willielminenspitals in Wien.
Zur Behandlung septischer Allgemein infektionen mit Methylenblausilber (Argochrom).
Von Dr. A. Edelmann und Dozent Dr. A. y. Müller-Deham.
Die Ehrlichsche Chemotherapie mit ihrem Hauptmotiv ,,chemisch zielen lernen" war der Ausgangspunkt unserer Arbeit über Behandlung allgemeiner und lokaler Infektionen. Es gelingt in vitro leicht, Bakterien durch antiseptische Mittel zu töten, schwer sind sie aber im lebenden Organismus eines Tieres zu beeinflussen. Die ganze Schwierigkeit der Aufgabe besteht darin, Mittel in den Organismus einzuführen, die nach der Ehrlichschen Nomenklatur mehr parasitotrop als organotrop sind. Denn die meisten antiseptischen Mittel sind mehr für das Tier als für die Krankheitserreger giftig, so dass sie eher das Tier als die letzteren töten. Ausgehend von der Idee ,,corpora non agunt nisi fixata"16, hat Ehrlich nach Substanzen gesucht, die eine stärkere chemische Affinität zu den Krankheitserregern als zu den Organen besitzen. Eine Frucht dieser Bestrebungen war das Dioxydiamidoarsenobenzol-Salvarsan. Wir stützten uns in unserer Arbeit auf die im Laboratorium bekannte Affinität des Methylenblaus zum Bakterienprotoplasma und seine Fähigkeit, vital zu färben, einerseits, anderseits auf die in der Klinik bekannte antiseptische Bedeutung der Silberverbindungen. Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass, wenn man ein Präparat, z. B. ein Sputumpräparat, ganz kurz eine Sekunde mit einer verdünnten Methylenblaulösung färbt, sich die Bakterien schön färben, während die Zellen in dieser kurzen Zeit keinen Farbstoff aufnehmen. Auch die Konzentration des Farbstoffes spielt eine Rolle. Je verdünnter der Farbstoff, desto schwieriger, langsamer färben sich die Zellen, während die Bakterien auch bei sehr starker Verdünnung den Farbstoff aufnehmen.”
Diese Tatsache spricht dafür, dass die Mikroorganismen spezielle Chemorezeptoren für Methylenblau besitzen, wie das Ehrlich für das Nervengewebe gezeigt hat (1). Unter den Anilinfarben, behauptet Ehrlich (2), hat das Methylenblau eine Sonderstellung, indem es eine maximale Verwandtschaft zu den Mikroorganismen besitzt. Die Silberverbindungen haben sich in der Klinik der Strepto- und Staphylokokkenerkrankungen sowie im Experiment als gute Antiseptika bewahrt. Das Methylenblau wurde übrigens in die Therapie der Malaria von Ehrlich und Guttmann ( B. kl. W. 1891 Nr. 3917) eingeführt und hat in der Bekämpfung dieser Erkrankung Ausgezeichnetes geleistet. Es wird noch jetzt in manchen Gegenden mit Vorliebe verwendet. Diese Tatsache spricht dafür, dass das Methylenblau Krankheitserreger im Blute anzugreifen imstande ist. Von Escherich wurde damals das Methylenblau bei Zystitis und Pyelitis, von Ehrlich und Leppmann bei Neuralgien (3) empfohlen. Auf Grund dieser Prämissen sowie der Bürgischen Potenzierungstheorie war anzunehmen, dass eine Silberverbindung mit Methylenblau Aussichten auf Erfolg in der Behandlung allgemeiner Strepto- und Staphylokokkenerkrankungen hat. Wir haben uns beniiht, eine solche Verbindung herzustellen. Wir stellten uns vor, dass das Methylenblau eine Schiene (im Sinne der Ehrlich-Wassermannschen Schienentheorie) bilden wird, auf welcher das Silber zu den Bakterien gelangt. Diese Idee, dass Farbstoffe als Transporteure benutzt werden könnten, hat Ehrlich schon im Jahre 1898 in seiner Arbeit ,,Über die Beziehungen von chemischer Konstitution, Verteilung, usw." ausgesprochen. A. y. Wassermann und seine Mitarbeiter haben (4) bei experimentellen Tumoren der Mause therapeutische Erfolge mit Eosin-Selen- und Eosin-Tellur-Verbindungen erzielt. Sie haben das Eosin als einen Transporteur für Tellur und Selen, denen eine besondere Wirkung auf das Karzinom zukommen soll, verwendet. Diese Transportwirkung hat Sellei mit Metallsalzen plus Farbstoffgemengen studiert (5). Er kommt zum Schluss, dass “jene Stoffe, ob chemische, Farbstoffe oder andere, die mit bestimmten Geweben in Verbindung treten können, gegen diese daher affin sind, auch als Transporteure benutzt werden können". Eine solche Verbindung von Methylenblau mit Silber ist uns mit Hilfe des Chemikers Dr. J. Flaschen zu erhalten gelungen. Die Herstellung des Präparates hat die Firma E. Merck unter dem Namen Methylenblausilber (Argochrom) übernommen Das Methylenblausilber hat in vitro hohe antiseptische Wirkung gezeigt. Versuchstiere vertragen das Präparat bei subkutaner Einverleibung in großen Dosen ohne Intoxikationserscheinungen, so eine weiße Maus 0,01 g, Kaninchen 0,2, Hund 0,5 der Substanz. Wir haben bereits im September 1903 in der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Wien und dann in dieser Wochenschrift 1913 Nr. 47 über klinische Erfolge berichten können. Unter elf Fällen von Strepto- und Staphylokokkensepsis haben wir in neun Fällen Heilung erzielt zwei Fälle sind an Komplikationen ad exitum gekommen, nachdem der infektiöse Prozess günstig beeinflusst worden war. Es ergab sich dabei ein Unterschied in der Wirkung bei den Bakteriämien und Pyämien. Bei den Bakteriämien war der Temperaturabfall prompt, während bei den Pyämien dieser lytisch erfolgt ist. Ferner bewährte sich unser Mittel bei akutem Gelenkrheumatismus, von welchem wir sieben Fälle, meistens solche, die auf Salizylate, Atophan usw. nicht reagiert haben, behandelten. In zwei Fällen schwerer exsudativer Perikarditis haben wir einen eklatanten Erfolg erzielt. Als wirkungslos erwies sich das Präparat bei Tuberkulose, Lymphogranulomatose und Pneumonje; es ist dagegen gelungen, bei einer schweren Pyelitis mit monatelang dauerndem Fieber eine Besserung zu erzielen. Wir haben das Mittel in unseren Fällen wiederholt zu 0,1-0,4 g in 10-20 ccm Wasser gelöst, subkutan in die Extensorenseite der Oberschenkel gegeben und dabei außer Schmerzen an der Injektionsstelle keine üblen Erscheinungen gesehen. Intramuskulär« Injektionen führten in zwei Fällen zu sterilen Abszedierungen. Wir haben in unseren Fällen vor allem eine Besserung des Allgemeinzustandes, Heruntergehen der Pulszahl und in zweiter Linie erst Temperaturabfall beobachtet. Besonders auffallend war die Besserung des subjektiven Zustandes der Patienten, was auch später Hüssy und Kühnelt betont haben. Unserer Publikation folgte eine von Saphier und von Zumbusch ,,Über die Behandlung vereiterter Bubonen" (8), in welcher die Autoren über 124 mit Erfolg behandelte Fälle berichten. E. Urbantschitsch hat das Methylenblausilber bei eitrigen Mittelohrentzündungen als Instillationen und Insufflationen verwendet und berichtet ebenfalls über gute Erfolge (7). v. Herff glaubt (8) im Methylenblausilber ein Mittel gefunden zu haben, das die spezifische Virulenz der Keime (Penetrationskraft) schwächt und für die Gewebe nicht giftig ist, und hofft, dass man auf diesem Wege auch zu einer “sicheren Behandlung schwerster Bakteriämien im Weiteren Sinne des Wortes kommen wird".
Bei Allgemeininfektionen hat zunächst Kothny (9) das Methylenblausilber in zwei Fällen tropischer Malaria mit gutem Erfolge verwendet. Arnstein hat auf der Abteilung Schlesinger septische Erkrankungen mit intravenösen Methylenblausilberinjektionen behandelt und berichtet über gute Erfolge in der Sitzung der Gesellschaft für innere Medizin vom 24. Februar 1914. Pollitzer berichtet in dieser Sitzung gleichfalls über günstige Erfolge bei Anginen bei lokaler Anwendung. Von Hüssy wurde im Tierexperiment gezeigt, dass das Methylenblausilber weißen Mäusen einen Schutz gegen Streptokokken und Koliinfektion verleiht. In seinen Studien über, “Virulenzbestimmung und Virulenzbekämpfung" (10) schreibt er: “Schon erwähnte Untersuchungen hatten das Resultat, dass Methylenblausilber keine starke bakterizide Wirkung aufweist, wenigstens nicht, was Streptokokken betrifft. Im Experimente erwies sich nun trotzdem diese Verbindung als äußerst günstig. Es geht daraus wiederum mit größter Deutlichkeit hervor, dass es eben nicht darauf ankommt, Mittel zu finden, die eine starke keimtötende Wirksamkeit entfalten, sondern es handelt sich nur darum, dass sie die Virulenz zu hemmen vermögen. Keimtötende Substanzen werden meistens solche sein, die auch den Körper schädigen, Körpergifte. Hemmen sie dagegen nur die Virulenz, dann brauchen sie dem Organismus nicht zu schaden, wie das beim Methylenblausilber der Fall ist. In schwacher Konzentration tritt kaum eine Erkrankung der weißen Mäuse auf. Diese Tatsache ist außerordentlich wichtig und muß unbedingt in Betracht gezogen werden. Dann lassen sich auch vielleicht Erfolge mit der Chemotherapie erzielen. Dass das Methylenblausilber in jedem Falle Erfolg haben werde, ist nicht anzunehmen, das wird wohl kaum je mit der chemischen Verbindung zu erreichen sein. Ganz sicher steht fest, dass es eine starke Wirkung hat auf die Virulenz der Keime. Es scheint auch nicht, als ob sich diese wieder steigern könnte. Es blieben wenigstens unsere Versuchsmäuse über längere Zeit gesund, und es trat keine Erkrankung mehr ein. Es ist also jedenfalls bei schwerer Puerperalfiebererkrankung das Methylenblausilber eines Versuches wert." Vor allem sei nach Hüssy das Präparat empfohlen zur Bekämpfung der septischen Allgemeininfektion, hervorgerufen durch Streptokokken und die Erreger der Gasphiegmone (Gasödem). Jedenfalls muss die Behandlung möglichst frühzeitig eingeleitet werden, noch bevor die Wehrkraft des Organismus erlahmen kann. Nur dann dürfen wir von dem Methylenblausilber etwas erwarten. Zusammenfassend meint Hüssy weiter:
1. Die septische Allgemeininfektion wird am besten durch Hemmung der spezifischen Virulenz der Erreger beeinflusst.
2. Ein Präparat, das einerseits die spezifische Virulez der Keime hemmt, anderseits den Organismus nicht schädigt, ist das von E. Merck hergestellte Methylenblausilber.
3. Das Methylenblausilber sei daher bei jeder Form von septischer Allgemeininfektion zur Verwendung dringend empfohlen. Frühzeitige Injektionen der 2%igen Lösung sind geboten." Hüssy hat in gemeinsamen Untersuchungen mit Bollag unsere bakteriologischen Befunde in vitro nicht bestätigen können. Er behauptet, dass dem Mittel eine geringe bakterizide Wirkung zukommt. Unsere zahlreichen Nachprüfungen haben uns dieselben Resultate gebracht. Es wäre nun zu erwägen, was wir gleich hier anführen wollen, ob das in seinen Lösungen stark fluoreszierende Methylenblausilber als photodynamisch wirksamer Körper wirken könnte, Wie ja auch Methylenblau selbst nach den Untersuchungen v. Tappeiners einen photodynamischen Sensibilator darstellt. In vitro ist, wie anzunehmen war, photodynamische Wirkung des Methylenblausilbers von Hassenkamp (11) nachgewiesen worden. Von diesem Autor wurde auch gezeigt, dass die biologische Wirkung der Silbersalze im Licht intensiver sein kann als im Dunkeln. Der Nachweis photodynamischer Wirkung bei Methylenblausilber gibt vielleicht die Erklärung für die widersprechenden bakteriologischen Befunde, in denen auf die Bedeutung des Lichtes nicht geachtet worden war. Was die Frage betrifft, ob das Methylenblausilber auch im Organismus des Menschen nach Art der photodynamischen Substanzen wirksam sein könnte, so ist dies nach den Versuchen 'von Busk und Jodibauer über die Beeinflussung von Trypanosomen bei Mäusen, die mit Erythrosin vorbehandelt waren, nicht sehr wahrscheinlich. Allerdings ist daran zu denken, dass das Methylenblausilber in einem anderen Strahlenbezirke wirksam ist, dessen Wellenlängen größer sind als die bei Erythrosin wirksamen. Da nun langweiliges Licht im menschlichen Gewebe besser durchzudringen vermag als kurzwelligere Strahlen, so wäre gerade bei Methylenblauderivaten eine Tiefenwirkung leicht denkbar. Indessen stehen Versuche in dieser Richtung noch aus. Über weitere klinische Erfahrungen berichtet Kühnelt aus der Kehrerschen Frauenklinik in Dresden (12). Kühneils Arbeit stellt einen wesentlichen Fortschritt, was Technik der Einverleibung des Präparates anbelangt, dar. Kühnelt verabreicht das Methylenblausilber zu 0,1 in 10 ccm Wasser und 0,2 in 20 ccrn Wasser gelöst intravenös, indem er die Lösung zuerst filtriert. Auf diese Weise wird jeder Möglichkeit einer Schädigung des Organismus vorgebeugt. () Arnstein hat in einem seiner Fälle nach einer intravenösen Injektion einen Kollaps gesehen, von dem sich aber die Patientin rasch erholte.) In 20 Fällen von Puerperal”
“fieber hat er Heilung erzielt. Es handelte sich 1. um schwere Fälle von Strepto- und Staphylokokkensepsis (9 Fälle) und 2. um leichtere Erkrankungen mit lokalisierter Infektion (11 Fälle), darunter aber auch Fälle mit Übergang der Bakterien ins Blut. Es ist ihm in leichten Fällen mit ein bis zwei Injektionen, in schweren bis höchstens vier Injektionen à 0,1-0,2 Methylenblausilber gelungen, eine Entfieberung zu erzielen. Er beobachtete nach den Injektionen einen Abfall der Temperatur und der Pulszahl, eine Besserung des Allgemeinzustandes. Von seinen Kurven führen wir Fall 1 an, aus welcher die Wirkung deutlich sichtbar ist. Kühnelt empfiehlt, das Methylenblausilber möglichst frühzeitig zu injizieren. Er sah in keinem Fall eine Schädigung des Organismus.
,,Je früher das Mittel injiziert wird, desto eher gelingt es, dem Fieber Einhalt zu gebieten und ein Fortschreiten der Infektion zu verhindern." Schließlich wäre noch eine Arbeit von Krämer in der Berliner tierärztlichen Wochenschrjft (1916, Nr. 4) zu erwähnen. Krämer hat in mehr als 20 Fällen von Druse der Pferde mit septischer Allgemeininfektion, insbesondere durch Streptokokken hervorgerufen, das Methyleublausilber ,,mit vorzüglicher Wirkung" angewendet. Er gab das Mittel intravenös 1,0 : 100,0 H2O täglich oder jeden zweiten Tag. Selbst Fälle von Metastasen in Lungen oder Rückenmark wurden in kurzer Zeit geheilt. ,,Mehrere dieser (etwa sieben) brachen im Stalle ohne vorherige Anzeichen plötzlich in der Hinterhand zusammen und konnten nur getragen in den Hängegurt verbracht werden." Bei einem verstorbenen Pferde, das kein Methylenblausilber bekommen hat, ,,ließ die Sektion im Lendenmiarkkanal Eiter nachweisen". Unsere weiteren Erfahrungen erstrecken sich auf 19 Fälle von schwerer Sepsis, 1 Gasphiegmone, 5 Fälle von Endokarditis, 2 Fälle von Perikarditis exsudativa und 3 Fälle von Polyarthritis rheumatica, die auf die übliche Therapie nicht reagiert haben.
Von diesen haben wir nur drei Fälle verloren. Und zwar handelte es sich in einem dieser drei Fälle um eine Pyämie, die im Anschluss an einen Abortus mit metastatischen Abszessen im Bereiche des linken Oberarmes und linken Schultergelenkes, welche inzidiert werden mussten, auftrat. Die Pyämie heilte aus, die Patientin ist aber an Urämie infolge einer aufsteigenden Pyelonephritis, welche im Anschluss an unreinen Katheterismus (Retentio urinae) entstand, gestorben. Die Obduktion ergab eine diphtheritische Zystitis und aufsteigende eitrige Pyelonephritis, von der Pyamie war nichts mehr zu finden.
Im zweiten Fall wurde das Methylenblausilber in ultimis gegeben. Eine 62 jährige Frau, welche im Anschluss an eine Angina mit hohem Fieber erkrankte, wurde in sehr schwerem Zustande nach etwa fünfwöchiger Krankheitsdauer in das Spital aufgenommen. Die Untersuchung ergab: Sensorium benommen, Ikterus der Haut und der Skleren, hohes, wenig remittierendes Fieber, eine gangränöse Angina beider Tonsillen, auf der Mundschleimhaut sowie auf der Zunge zahlreiche, schmierig belegte, heller große Geschwüre (starker Foetor ex ore), Milz. und Leberschwellung, links hinten unten Dämpfung mit pleuritischem Reiben und subkrepitierenden Rasselgeräuschen, Pulsfrequenz 140-160. Blutaussaat ergab Staphylococcus aureus, bei der morphologischen Blutuntersuchung fand sich eine hochgradige Leukopenie, 1000 weiße Blutkörperchen und nur kleine und große Lymphozyten und etwa 2 % Türksche Reizzellen. Patientin war auf der Abteilung' nur 3 1/2 Tage. Am dritten Tage entschlossen wir uns zur Injektion 0,1 Methyleublausilber intravenös, welche sie gut vertragen hat. Sie starb aber 24 Stunden später. Der Fall war klinisch absolut hoffnungslos. Wir haben die Injektion nur auf das Drängen des Hausarztes und der Familie gemacht. Die Obduktion (Prof. Landsteiner) ergab: Gangränöse Stomatitis, Pharyngitis, Tonsillitis und Glossitis; multiple Infarkte der linken Lunge, fibrinöse Pleuritis links, pleurale Adhäsionen beiderseits, tuberkulöse Schwielen beider Lungenspitzen, Hämorrhagien des Epikards und der Pleura, beginnende Arteriosklerose der Aorta, Milz- und Leberschwellung, Degeneration der Parenchyme. Der Fall gehört eher zur Gruppe der akuten Leukämien. Die Veränderungen bei einem älteren Individuum waren soweit vorgeschritten, dass von einer Wirkung a priori keine Rede sein konnte.
Der dritte Fall war eine schwere Septikopyrämie (Eiter)18, die im Anschluss an einen Furunkel der Oberlippe entstanden ist. Es wurde im Blute Staphylococcus aureus gefunden. Patient wurde am neunten Tage seiner Erkrankung in schwerem Zustande in die Klinik gebracht. Die Haut ikterisch verfärbt, hochgradige Anämie, Dyspnoe, Puls frequent, schlecht gespannt; beiderseitiger hämorrhagischer Pleuraerguß, der entleert werden mußte; Hämaturie, Milz groß, hohe Kontinua. Wir konnten kaum eine Injektion 0,2 Methylenblausilber subkutan machen. Der Patient ist am vierten Tage nach der Einlieferung in die Klinik gestorben. Die Obduktion ergab multiple Abszesse in Lungen, Milz und Nieren, hämorrhagische Pleuritis beiderseits, hochgradige Degeneration der Parenchyme.
Die übrigen 16 Sepsisfälle sind der Heilung entgegengebracht worden. Bei unseren Sepsisfällen haben wir in fünf Fällen Streptokokken und in sieben Fällen Staphylococcus aureus aus dem Blute gezüchtet. In den übrigen Fällen war die Kultur negativ oder sie wurde nicht gemacht. Drei Fälle von den letzteren waren aber Pyämien, durch metastatische Eiterungen gekennzeichnet. In den meisten Fällen haben wir subkutan injiziert. Selbstverständlich ist die intravenöse Injektion, wie sie Kühnelt angegeben hat, vorzuziehen. Die Wirkung ist voller und prompter. Doch haben wir auch mit subkutanen Injektionen prompte Wirkung erzielt. Zur Demonstration einige Krankengeschichten mit Temperaturkurven.
Fall 1. Agnes H., 27 Jahre alt, aufgenommen am 9. Mai 1915. Sechs Tage nach einem Kürettement plötzlich Schüttelfrost, Temperatur 40°. Bei der Aufnahme schwerer Allgemeinzustand, Puls 140. Gynäkologische Untersuchung ohne besonderen Befund. Am 12. Mai im Blute Streptokokken, links hinten unten pleuritisches Reiben, Schüttelfröste. 0,2 Methylenblausilber subkutan in den Oberschenkel. Temperatur sinkt, und am nächsten Tage erreicht sie nur 37,5°, um dann zur Norm herunterzugehen. Der Fall war einer der eklatantesten Erfolge.
Fall 2. C. P., 24 Jahre alt, aufgenommen am 28. August 1916. Septischer Abortus. Es wurde am 29. August ein Kürettement ausgeführt. Temperatur sinkt aber nicht; Schüttelfröste; links hinten unten pleuritisches Reiben, dann Bildung eines pleuritischen Exzudates. Schwerer Allgemeinzustand; im Blute Streptokokken. Prognose wurde vom behandelnden Gynäkologen als absolut infaust gestellt. Am 3. September wurde eine Injektion 0,2 Methylenblausilber gegeben.
Am 4. September deutliche Besserung des Allgemeinzustandes, Pulszahl geht her unter, Temperatur fällt. Am 5. September abermalige Injektion. Temperatur geht fast bis zur Norm herunter mit hier und da noch kleinen Zacken bis 37,5° Allgemeinzustand sehr gut. Puls 78-84. Am 11. September wiederum eine Erhöhung der Temperatur, die am 17. September 39,1° erreicht. Eine dritte Methylenblausilberinjektion 0,2 bringt eine vollständige Entfieberung. Die Patientin wird am 24. September geheilt entlassen.
Zwei Fälle septischer hämorrhagischer Nephritis wurden rasch entfiebert und geheilt. In dem einen Fall wurden Streptokokken aus dem Blute gezüchtet. Nach der dritten Injektion 0,2 Methylenblausilber konnte man keine Keime mehr im Blute finden. Die Patientin hat die Klinik geheilt verlassen. Im zweiten Falle handelte es sich um eine Sepsis, die im Anschluss an eine Schrapnellverletzung des rechten Unterschenkels entstanden und mit Ikterus und septischer, hämorrhagischer Nephritis einhergegangen ist. Eine bakteriologische Blutuntersuchung wurde nicht vorgenommen Mit zwei Injektionen 0,2 Methylenblausilber wurde der Patient entfiebert, die Nephritis heilte rasch ab. Zwei Fälle von Pyämie nach Schussverletzungen, gekennzeichnet durch multiple metastatische Abszesse, die jeder chirurgischen Therapie trotzten, wurden der Heilung entgegengebracht. Ein Fall von Gasphlegmone wurde mit drei Injektionen 0,2 Methylenblausilber subkutan geheilt. Den Fall verdanken wir der Freundlichkeit des Herrn Dr. Grünwald, gew. Leiter des Verwundetenspitals ,,Lupus Heilstätte", der uns zu einem Versuche mit Methylenblausilber bei dem Patienten, der sich in klinisch hoffnungslosem Zustande (schwere Allgemeinsepsis und Ikterus) befand, eingeladen hat. Von der zweiten Gruppe der rheumatischen Erkrankungen haben wir 10 Fälle behandelt. Es wurden Fälle gewählt, die jeder anderen Therapie trotzten. Wir lassen zwei kurze Krankengeschichten folgen:
K. S., 45 Jahre alt; aufgenommen am 27. Februar 1915. Polyarthritis rheumatica acuta. Die Erkrankung hat vor fünf Wochen mit Angina und Tonsillarabszess, der aufgemacht werden musste, begonnen. Dann kamen Schwellungen der Gelenke, und es sind rote, schmerzhafte Flecke am Körper aufgetreten, hohes Fieber, Schlaflosigkeit. Status praesens: Freies Sensorium, auf der Haut des Rumpfes und der Extremitäten multiple, erbsen- bis talerstückgroße, livid verfärbte Effioreszenzen, die bei der Palpation ein schmerzhaftes, derbes Infiltrat in der Kutis erkennen lassen. Die Epidermis an den Effioreszenzen schuppend, Schwellung und Rötung der Sprung-, Knie-, zum Teil der Hand- und Schultergelenke. Trotz Salizyl, das der Patient über drei Wochen in großen Dosen nahm, keine Besserung. Wir gaben 5,0 Natriumsalicylicum pro die, und als auch darauf die Schmerzen nicht nachgelassen haben und das Fieber sich auf 39° hielt, haben wir am 3. März 0,2 Methylenblausilber subkutan gegeben. Die Wirkung war in diesem Falle eklatant. Eine halbe Stunde nach der Injektion schlief der Patient ein, was früher schwer mit Schlafmitteln zu erzielen war. Der Patient ist vom Schlafe nach einigen Stunden ganz frei von den ihn quälenden Beschwerden erwacht mit subjektivem Wohlbefinden. Die Schmerzen in den Gelenken sind sofort verschwunden, im Laufe von drei Tagen sind die Schwellungen in den Gelenken zurückgegangen, die Temperatur sank zur Norm. Der Patient konnte am achten Tage nach der Injektion entlassen werden, nachdem sich auch die oben beschriebenen Effioreszenzen zurückgebildet hatten. Den Patienten haben wir einige Monate später wiedergesehen. Er blieb ohne Rezidiv.
Der zweite Pall war eine subakute, fieberhafte Polyarthritis, die schon einige Monate währte. Es wurde in diesem Falle jede mögliche Therapie ohne Erfolg angewendet. Patient wurde mit einer Injektion von 0,2 Methylenblausilber entfiebert und konnte 14 Tage später das Bett verlassen.
Zwei Perikarditisfälle wurden rasch geheilt. Einer dieser Fälle betrifft eine 50jährige Frau, H. F., mit einem sehr großen perikardialen Exsudat. Die Patientin wurde vom behandelnden Arzte zwecks Punktion des Perikardialsackes in das Spital geschickt. Aufgenommen am 15. April 1916. Schwere Or hopnoe mit Zyanose; Puls 140, klein; mächtiges perikardiales Exsudat. Bei Aspirin Temperatur bis 39,8°. Am 16. April 0,1 Methylenblausilber subkutan. Temperatur steigt nur bis höchstens 37,8°; deutliche Besserung des Allgemeinzustandes. Patientin schläft in der Nacht gut; Puls 120-110; Dyspnoe geringer. Es war nur noch eine zweite Injektion 0,1 Methylenblausilber notwendig, um die Patientin zu entfiebern. Das Exsudat ging schnell zurück. Patientin wurde am 13. Mai geheilt entlassen. Die Perikarditis scheint uns besonders gut mit dem Methylenblausilber beeinflusst zu werden.
In drei Fällen von rekurrierender Endokarditis wurden die Patienten rasch entfiebert. Ein Fall erwies sich als refraktär. In einem Falle einer frischen Endokarditis nach Angina tonsillaris mit Abszessbildung an der linken Tonsille und Gelenkschwellungen wurde scheinbar eine vollständige Heilung erzielt. In solchen Fällen muss man sich mit großer Reserve aussprechen, weil eben die Diagnose einer frischen Endokarditis so schwierig ist und uns oft alle klinischen Kriterien im Stiche lassen. Jedenfalls, da es unser zweiter Fall ist, wäre doch vielleicht daran zu denken, dass man Fälle von Polyarthritis rheumatica von vornherein nebst Salizyl mit Methylenblausilber behandeln soll. Vielleicht gelingt es, auf diese Weise wenigstens in manchen Fällen der Endokarditis vorzubeugen.
Technik der Anwendung. Wir haben das Mittel zunächst subkutan angewendet. Die Injektionen wurden immer an der Extensorenseite der Oberschenkel tief subkutan, wie das Wechselmann für Salvarsan angegeben hat, gemacht. Die intramuskulären Injektionen haben wir, nachdem wir sterile Abszedierungen gesehen haben, bald verworfen. Es wurde darauf von A. v. Müller in der Sitzung der Gesellschaft für innere Medizin vom 24. Februar 1914 aufmerksam gemacht. Von Hussy wurde der Zusatz eines Anästhetikums empfohlen. Wir sind in den letzten Zeiten so verfahren, dass wir das Präparat, das die Firma E. Merck in abgeteilten Dosen à 0,2 (Argochrom, Methylenblausilber 0,2) steril abgibt, in 20 ccm sterilem, destilliertem Wasser oder abgekochtem Brunnenwasser (1%ige Lösung) lösten, der Lösung 1 ccm einer 3%igen Tropakokainlösung (nach dem Rezepte Tropakokain 0,3, Aquac destillatae 10,0) beimischten. (0,03 Tropakokain pro injectione). Die Injektion wird mittels einer Rekordspritze an der Extensorenseite des Oberschenkels gemacht. Unser Bestreben war, das Präparat intravenös zu geben, von welcher Einverleibung wir uns eine vollere und promptere Wirkung versprachen. Versuche an Hunden haben gezeigt, daß das Präparat, in die V. jugularis gegeben, ein Lungenödem hervorrufen kann, während die Einspritzung in die V. femoralis gut vertragen wird. Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei vollständiger Lösung des Präparates die intravenöse Injektion von Versuchstieren gut vertragen wird (Kaninchen 0,02, Hund 0,1). So sind wir langsam zu intravenöser Anwendung gelangt, nachdem es im Selbstversuch gut ohne jede Nebenwirkung vertragen worden ist. Indessen stehen uns mit intravenösen Injektionen nur wenige eigene klinische Erfahrungen zur Verfügung. Durch die Arbeit von Kühnelt ist ein weiterer und wesentlicher Fortschritt gemacht worden. Kühnelt filtriert die Lösung durch einen sterilen Wattebausch, und das filtrierte Präparat wird tadellos vertragen. Die intravenöse Injektion gestaltet sich nun folgendermaßen: Es werden zwei Schalen oder Weingläser und ein kleiner Trichter ausgekocht. In einen wird eine Phiole Methylenblausilber 0,2 gegeben und mittels einer sterilen Rekordspritze 20 ccm sterils destilliertes Wasser oder abgekochtes Brunnenwasser, 40-50 ° Temperatur, zugeschüttet. Nachdem sich das Präparat möglichst gelöst hat, wird es durch einen Wattebausch oder sterile Gaze (zweimal) in das zweite Gläschen filtriert und dann in die Rekordspritze eingezogen und injiziert indem man zuerst die Nadel in die Vene einführt und dann erst die Spritze ansetzt. Am besten eignet sich dazu die Saphiersche Nadel für Salvarsaninjektionen. Herzmuskelschwäche ist unseres Erachtens eine Kontraindikation für intravenöse Injektionen. In solchen Fällen soll das Mittel subkutan verabreicht werden. Für diese letzte Applikationsart gibt es keine Kontraindikation. Sollten Harnbeschwerden eintreten, wir haben solche niemals beobachtet, wie man dies aber bei großen Dosen Methylenblau gesehen hat, so ist Pulvis nucis moschat (Muskatnuspulver) drei- bis viermal täglich à 0,1 zu geben. Auf Grund vierjähriger Erfahrungen, welche sich nicht nur auf die von uns behandelten Fälle, sondern auch auf Berichte über ein größeres Material anderweitig behandelter Fälle stützen, können wir behaupten, dass das Methylenblaunilber bei Strepto- und Staphylokokkensepsis und manchen Formen von akutem Gelenkrheumatismus mit Komplikationen sich sehr gut bewährt hat. Wenn wir im Jahre 1913 die Ansicht ausgesprochen haben, dass das Mittel in der inneren Antisepsis einen Fortschritt bedeute, so wurde dies später 'von Kothny, Arnstein,
19 Deutsche Medizinische Wochenschrift Nr. 23, 7. Juni 1917. S. 715 - 719
Hüssy, Kühnelt und Krämer bekräftigt. Während die meisten Autoren klinisch das Mittel erprobt haben, hat Hüssy im Tierexperiment gezeigt, dass das Methylenblausilber die spezifische Virulenz der Keime schwächt und so dem Organismus über die Infektion Oberhand zu gewinnen hilft.
Literatur. 1. a) Zbi. f. m. Wiss. 23. 1885. S. 113. b) D. m. W. 1886 Nr. 36. c) Biol. Zbi. 6. 1887. S. 214. - 2. Ehrlich, Ueber das Methylenblau und seine klinische bakterioskopische Verwertung, Ztschr. f. kiln. M. 2. 1881. S. 710.- 3. D. sn. W. 1890 Nr. 28. - 4 D. m. W. 1912. - 5. a) M. Kl. 1912 Nr. 45. b) Biochern. Zschr. 49 H. C. - 6. D. m. W. 1913 Nr. 48. - 7. Mschr. f. Ohrhik. 1914 Nr. 5. - 8. M. m.W. 1915 Nr. 17. 9. Sitzung d. Oes, f. inn. Med. vom 20. II. 1914. - 10. p. H Ü ss y, Ueber Vlrulenzbestimmung und Virulenzbekämp. fung, Berlin 1915. - 11. lnaug.-Dlss. Freiburg i. Br. 1914. - 12. Zbi. f. Gyn, 1916 H. 32.”
20 Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, Januar-Juni 1922 Nr. 4 S. 317
“X. H. Sternberg: Leukämie mit Angina necrotica. Heilung durch Argochrom-Injektion.
Vortragender stellt einen 21jährigen Mann mit chron. lymphatischer Leukämie, in deren Verlauf es zu einem gangränösen Zerfall beider Tonsillen kam, vor. Nacheiner Argochrom-(Kolloidales Methylenblausilber) Injektion trat Heilung wie nach einer Tonsillektomie auf. Ob dieselbe infolge der Argochrominjektion eintrat oder eine spontane war, konnte Vortragender nicht entscheiden.”
21 Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie Nr. 5, 1919, S. 349
“Für den Praktiker das wichtigste Kapitel ist zweifellos die „therapeutische Anwendung der Lumbalpunktion“. Hier werden behandelt: die Lumbalanästhesie, die therapeutische Liquorentnahme, Spülung, Seruminjektion und Injektion von Medikamenten. Bei der Spülung hat sich Verfasser außer der NaCl-Lösung insbesondere Argochrom (Methylenblausilber) bewährt. Von 0,2 in 100 cm³ physiologischer Kochsalzlösung wird die eine Hälfte zur Spülung, die andere zur Infusion verwendet. Unter der medikamentösen Behandlung fällt u.a. ein Fall auf, der bei subarachnoidealer Blutung auf lumbale Injektion von mehrmals 10 cm³ Gelatine zur Heilung kam. In diesem Fall ist besonders bemerkenswert, dass dieses Mittel an diesem Ort so anstandslos vertragen wurde.”
22 Deutsche medizinische Wochenschrift Nr. 16 1925, S. 658f
“Die rektale Anwendung des Argochroms. Von Dr. Rudolf Spiegelberg, Insel Poel i. Meckl.
Argochrom ist als eins der vorzüglichsten Silberpräparate zur intravenösen Anwendung bekannt. Der Gedanke, durch die Affinität des Farbstoffs zu den Bakterien das Silber an sie heranzubringe wie mit Hilfe einer Leitschiene, ist bestechend. Bei allen Blutinfektionen der verschiedensten Ursachen, fieberhaften Aborten, akuten Gelenkrheumatismen, Perikarditis wendete ich es an, fast stets mit bestem Erfolge.
In der allgemeinen Praxis bereitet aber die intravenöse Einspritzung manchmal Schwierigkeiten, z.B. bei fetten Menschen, deren Ellenbogenvenen weder zu sehen noch zu fühlen sind, und vor allem bei Kindern. Eine operative Freilegung der Ader wird man nur ganz ausnahmsweise in Betracht ziehen.
Darum möchte ich auf eine andere, indirekte Einverleibung Blut hinweisen, die wohl oft zu wenig beachtet wird: die rektale. Viele lösliche Stoffe, die den Magen belästigen, resorbiert der Darm gut. Manchem Arzte möchte diese Applikationsweise vielleicht dennoch zu unsicher und unkontrollierbar erscheinen. Das Argochrom bezeugt aber seinen Durchgang durch den Kreislauf stets in geradezu idealer Deutlichkeit durch die starke Blaufärbung des Urins. Dadurch kann es dem Zweifler die Resorptionsfähigkeit des Rektums mit Evidenz vorführen. Die Bläuung des Urins (die schließlich auch suggestiv günstig ist) stellte sich nach wenigen Stunden ein und hielt mindestens 2 Tage an.
Mein erster Fall war ein dreijähriger Knabe, der 4 Tage nach Angina an schwerer Osteomyelitis im linken Schlüsselbein, rechten Schienbein und der, rechten Elle erkrankt war. Die beiden ersten Herde wurden operativ geöffnet; dass der dritte wider Erwarten nicht auch abszedierte, nur zu starker Verdickung des Knochens führte, kann ich nur der frühen rektalen Anwendung des Argochroms (0,1 g) zuschreiben, das noch 4 Tage lang den Urin bläute.
Ein schwerer, akuter Gelenkrheumatismus in den meisten Gelenken eines dreijährigen Knaben kam ebenfalls ganz auffällig rasch nach 0,1 g Argochrom rektal in wenigen Tagen zur Heilung.
Bei Erwachsenen (2 Gelenkrheumatismus, 1 Paratyphus; 1 Steinpyelitis, 1 wandernde Grippepneumonie) kann ich keine eindeutigen Erfolge behaupten. Vermutlich wären hier größere Dosen als 0,1—0,2g erwünscht.
Am meisten fiel mir ein Abort auf, der 3 Tage nach der Ausräumung bedrohlich zu fiebern begann; nach rektaler Argochromeinspritzung aber prompt entfieberte und‚ die Schmerzhaftigkeit des Uterus verlor.
Um die leichte Reizwirkung der 1%igen Lösung zu lindern, über die einige Erwachsene, keines der Kinder, klagten, mische ich ‚ die Ampulle jetzt in der 50 ccm-Spritze mit etwa doppelt soviel warmer Milch oder Mehlsuppe. Ein Reinigungsklistier schicke ich nicht voran.
Die Methode der Wahl bleibt die intravenöse Anwendung; ist diese aber unmöglich, so ist die rektale ein brauchbarer, einfacher Ersatz.”
23 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 20, 1932, S. 613f
“Endlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass sich chronisch-gonorrhoische Prozesse des Uterus manchmal durch intravenöse Injektion bakterizider Medikamente erstaunlich rasch bessern. Zu solchen etwa in 3 -tägigen Intervallen vorzunehmenden Injektionen verwenden wir entweder Argochrom (Methylenblausilber 0.2 : 10.0 Aqua dest.) oder Trypaflavin (Diaminomelhylacridiniumchlorid 0.2 : 10:0 Aqua dest.).“
24 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 12, 1922, S. 538
”Zur Argochromtherapie der Gonorrhöe.
Von Dr. HEINRICH LUDWIG, Assistent der Abteilung.
Die wiederholt erfolgreiche Anwendung von Methylenblausilber in septischen Fällen, und zwar nach der vorliegenden Literatur zumeist in solchen Fällen, die trotz energischer Behandlung mit sonst bewährten Mitteln keine Neigung zur Heilung zeigten, bestimmte uns, auf der Hautabteilung eine Reihe von männlichen und weiblichen Patienten mit gonorrhoischen Komplikationen der Behandlung mit Argochrom — ein Methinenblausilberpräparat nach Dr. Edelmann und Dr. v. Müller — zuzuführen.
Wir injizierten Argochrom nur intravenös, beginnend mit 0,05, ansteigend bis 0,2, und zwar je 1 kg auf 10 cm³ Flüssigkeit, in 2 - 3 tägigen Intervallen. Es wurde stets genau auf vollkommene Lösung des Präparats geachtet und die paravenöse Injektion auch nur eines Tropfens peinlichst vermieden. Bei genauer Einhaltung dieser Behandlungstechnik kam es zu keinerlei für den Patienten nachteiligen Erscheinungen weder lokaler noch allgemeiner Natur, während die paravenöse Injektion große Schmerzhaftigkeit und starke, lang andauernde Infiltrate hervorruft. In sämtlichen Fällen war zu beobachten, dass eine mehr oder weniger starke Blaufärbung des Gesichtes und der sichtbaren Schleimhäute auftrat, die sich entweder schon während des Injizierens oder unmittelbar danach zeigte, nach kurzer Zeit wieder schwand, sowie eine intensive Blaufärbung des Harnes, die durchschnittlich 3 bis 4 Tage, in einem Fall sogar 6 Tage lang bestehen blieb. Nur wenige von den 45 Fällen männlicher Gonorrhöe, die mit Argochrom behandelt wurden, verhielten sich refraktär, in den meisten konnten wir ein günstiges Ergebnis verzeichnen. Vor allem ist bei einem Überblick über die behandelten Fälle hervorzuheben, dass das Präparat bei intravenöser Injektion vor allem durch den Harn zur Ausscheidung kommend, in den meisten Fällen eine auffallend günstige Wirkung auf die Schleimhaut der Blase, besonders der hinteren Harnröhre zeigt, aber auch in Fällen, die mit Komplikationen des Nierenbeckens und Ureters zur Behandlung kamen, auch auf die Schleimhaut dieses Gebietes günstig zu wirken scheint. Man muss ja bei der Beurteilung der Wirkung eines Präparats auf die Schleimhäute der Harnwege bei bettlägerigen Patienten insofern vorsichtig sein, als ja in vielen Fällen die absolute Bettruhe, Vermeidung von Schändlichkeiten wie Erektionen, Sorge für leichten Stuhl, allein genügen, um eine auffallende Besserung des Harnbefundes zu erzielen und sichtliche Klärung der zweiten Portion des Urins herbeizuführen. Wenn wir auch dieses Moment in Betracht ziehen, so muss doch gesagt werden, dass bei den mit Argochrom injizierten Fällen die Besserung des Harnbefundes in den meisten Fällen auffallend rasch vor sich ging, in den mit Pyelitis komplizierten Fällen der Wirkung des Neosalvarsans (je 4 intravenöse Injektionen zu 0,15 zwei- bis dreimal wiederholt) zumindest gleichkam, ja in einem Fall von Posterior kompliziert mit Zystitis und Prelitis, bei dem Neosalvarsaninjektionen versagten, jede lokale Therapie nur Reizungen hervorrief, wirkte das Argochrom auffallend günstig und es führten 4 Injektionen vollständige Klärung des Urins in der zweiten Portion herbei. Es muss an dieser Stelle bemerkt werden, dass bei der großen Mehrzahl der Fälle von Gonorrhöe des Mannes, in denen die Harnröhrenentzündung durch Zystitis kompliziert war, schon eine Serie von Argochrominjektionen genügte, um den Urin in der zweiten Portion dauernd zu klären, während es in einer beschränkten Anzahl von Fällen zum Wiederauftreten diffuser Trübung des Urins in der zweiten Portion kam und die endgültige Klärung erst durch eine zweite Serie, in vereinzelten Fällen durch eine dritte Serie von Argochrominjektionen erreicht werden konnte. Was die Behandlung weiterer gonorrhoischer Komplikationen betrifft, so kamen Fälle von Epididymitis und Arthritis zur Behandlung. Die Wirkung des Argochroms auf diese Komplikationen ist der der Vakzine ungefähr gleichzustellen. Es ist hervorzuheben, dass von den mit Argochrom behandelten Fällen von Epididymitis nur 4 fieberten, dass aber auch die nach der Injektion nicht fiebernden Fälle die deutlich resorbierende Wirkung des Präparats zeigten und sich Resultate ergaben, die in Verbindung mit lokaler Therapie — heiße Umschläge, heiße Sitzbäder, Thermophorbehandlung— die auch bei allen anderen Therapien individuell schwankende Resorption und damit Verbleiben eines mehr oder weniger großen, narbigen Infiltrates im Bereiche des Nebenhodens ergaben. Von Arthritisfällen kamen 7 zur Behandlung, meistens multiple gonorrhoische Arthritiden. Gegenüber der Vakzinebehandlung kam es bis jetzt nie zur Metastasierung und der Gelenksprozess löste sich langsam; nie war ein jähes Abklingen des Prozesses mit nachfolgender Ankylosierung des Gelenkes wahrzunehmen, wie wir es gelegentlich bei der Vakzinetherapie sahen. Nicht so deutlich zu beobachten war der Erfolg der durch Komplikationen in ihrem Verlauf erschwerten Fälle weiblicher Gonorrhöe. Es muß gesagt werden, dass die meisten Fälle eine Besserung der peri- und parametritischen Infiltrationen erkennen ließen, dass Adnextumoren bei Kombination der Argochrom mit lokaler Wärmebehandlung sich doch rascher zurückbildeten, als ohne diese. Auch hier muss hervorgehoben werden, dass wir im Anschluss an die Argochrombehandlung niemals Exazerbationen des Prozesses beobachten konnten.“
25 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 35, 1918, S. 1542
“Methylenblausilber unter der Bezeichnung Argachrom in den Handel gebracht, scheint nach dem Berichte Hilda Lustigs (Wiener Klin, Wochenschr. 1917, Nr. 34) für die Therapie septischer Allgemeininfektionen von großer Bedeutung werden zu sollen. In 5 Fällen, darunter 3 akute Endokarditiden, war der Erfolg bedeutend. Bei 3 Kranken waren Temperaturabfall und Besserung des Zustandes nach der Einspritzung sinnfällig. Heilung in kurzer Zeit bei einem 4. Kranken mit Bakteriämie, Endo-Perikarditis, septischen Lungeninfarkten. In 2 hartnäckigen Fällen von Malaria tropica wurde neben Chinin Argachrom injiziert, daraufhin Heilung. Für die subkutane Injektion empfiehlt sich ein Zusatz eines Anästhetikums. Besser und rascher wirkend sind intravenöse Injektionen. In einem Falle wurden 11 Injektionen ohne Schaden gemacht, Einzelgabe 0 2 g.”
26 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 24, 1920, S. 1092f
“Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien.
(Interne Sektion.)
Sitzung vom 8. April 1990.
(Offizielles Protokoll.)
Vorsitzender: Herr K. F. Wenckebach.
Schriftführer: Herr H. Elias.
Herr A. Böhm: Epidemiologisches über die Grippe. (Erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.)
Herr Alfred Arnstein berichtet aus der IH. medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses (Vorstand: Professor Hermann Schlesinger) über therapeutische Erfahrungen bei Grippe.
Abgesehen von Herz- und Gefäßmitteln (Digitalis, Strophantus, Kampfer, Koffein, Strychnin, Adrenalin), die in jedem Falle von Pneumonie oder schwererer Bronchitis gegeben wurden, wurden bei einer Reihe von Kranken intravenöse Injektionen von Argochrom (Methylenblausilber) versucht unter der Annahme, dass es sich in vielen Grippefällen um septische Erkrankungen handeln dürfte; jedoch schien das Mittel keinen nennenswerten Einfluss auf den Ablauf der Erkrankung gehabt zu haben.”
27 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 33, 1919, S. 1629
“Gegen Fleckfieber hat Tietze (Mediz. Klinik 1918, Nr. 48) mit Erfolg Injektionen von Argochrom (Methylenblausilber) angewendet. Besonders die nervösen Erscheinungen werden durch die Injektionen rasch günstig beeinflusst; es kommt zu keinen Delirien, wenn das Mittel frühzeitig angewendet wird, respektive klingen vorhandene Delirien rasch ab, das Sensorium wird frei, die Nahrungsaufnahme wird nicht mehr verweigert. In der Mehrzahl der Fälle genügt eine, höchstens zwei Einspritzungen von 0,2 Argochrom in 20 cm³ Wasser. Die Einspritzungen sollen intravenös gemacht werden, da sonst starke Infiltrate entstehen.”
28 Neues Wiener Journal Nr. 8779, April 1918, S. 6
“Die Heilung der Blutvergiftung.
Ein großer Fortschritt der Medizin.
Zu den gefährlichsten Krankheiten gehört die mit Recht gefürchtete Blutvergiftung, weil die Medizin bisher gegen dieses Leiden vollkommen machtlos war. Die verschiedenen Methoden, die angewendet wurden, ließen meistens in schweren Fällen im Stich. Auch die Serumbehandlung, die seinerzeit von Doktor Marmorek warm empfohlen wurde, fand keinen Eingang in die allgemeine Praxis, weil ihre Erfolge zweifelhafte waren. Nun hat der berühmte, Berliner Gynäkologe Professor Bumm eine kombinierte Methode eingeführt und sehr warm empfohlen. Es handelt sich die gleichzeitige Anwendung eines Serums und Methylenblausilbers. Jedes dieser Mittel wurde schon gegen die Blutvergiftung allein angewendet. Da die Blutvergiftung (Sepsis) meistens durch eine Infektion mit Streptokokken zustande kommt, wurde ein Streptokokkenserum als ultima ratio immer wieder versucht. Auf das Silber gilt als ein spezifisches Mittel gegen die Sepsis und wurde in Form von Einreibungen und Injektionen verwendet. Das Methylenblau hat sich in der modernen Wundbehandlung außerordentlich bewährt. Alle diese drei Mittel kombiniert die Methode von Bumm, die von seinem Assistenten Schäfer ausgebaut und in zahlreichen Fällen erprobt wurde. Nun publiziert in der „Med. Klinik“ Oberstabsarzt Dr. Kuhn einen Fall von Sepsis nach einer Angina, der durch die erwähnte Methode vollkommen geheilt wurde, obwohl die schweren Komplikationen einer Lungenentzündung und Nierenentzündung vorhanden waren. (Heilung einer schweren Streptofokfensepsis durch Serum-Methylenblau-Behandlung, Nr. 14. 1918.) Am zehnten Tag der Krankheit wurde das Agrochom (Methylenblausilber) eingesprißt, am 11., 13. und 14. Tage das Antistreptokokkenserum und zwei Stunden darauf fünf Zentigramm Methylenblau in einer physiologischen Kochsalzlösung gelöst. Während vor der Einspritzung im Blute Streptokokken gefunden wurden, war das Blut nach der ersten Einspritzung vollkommen keimfrei. Die große Sterilisation war gelungen! Trotz schwerer Komplikationen und einer unangenehmen Serumkrankheit (Ausschläge) heilte die Krankheit vollkommen. Dr. Kuhn kommt daher zu folgenden Schlüssen: Hieraus ergibt sich, dass
1. eine sehr schwer verlaufende Sepsis durch Antistreptokokkenserum und Methylenblau in wenigen Tagen geheilt werden kann;
2. dass diese Einspritzungen leicht ausführbar und ungefährlich sind;
3. dass die Methode so wenig angreifend ist, dass während derselben eine Nierenentzündung heilen kann, und dass
4. die bei hohen Serumgaben meist zu erwartende Serumkrankheit selbst in ihrer schwersten Form verhältnismäßig so wenig angreifend ist, dass eine gleichzeitige Lungen- und Nippenfellentzündung mit Exsudat ohne weitere Komplikationen trotz vorhergegangenen, vierwöchigen schweren Krankenlager ausheilen kann.“ Hoffentlich wird sich das Mittel auch in anderen Fällen so glänzend bewähren! “
1968 wurde Argochrom noch in der Elektronenmikroskopie eingesetzt.
“Electron microscope image of enzymes that reduce turnover sites in bacteria using methylene blue silver (Argochrom).”29
“Argochrom ist eine Methylenblau-Silber-Verbindung (Merck), die z. Z. nicht mehr im Handel ist. Die benutzte Probe wurde dankenswergerweise yon Herrn Prof. Dr. Herzberg für die vorliegenden Untersuchungen zur Verfügung gestellt. Über die Strukturformel yon Argochrom liegen keine näheren Angaben vor. Man nimmt an, dass jeweils zwei Methylenblau-Moleküle komplex über zwei Ag+- Ionen gebunden sind. Eine 0,1% ige wässrige Stammlösung erwies sich als haltbar. Diese Stammlösung wurde den flüssigen Kulturen meist im Verhältnis 1:10 zu- gesetzt (Endkonzentration 10^-4).”
Die elektronenmikroskopischen Bilder geben vielleicht einen Hinweis darauf, wie Argochrom auf Bakterien wirkte. Die Silberablagerungen waren dauerhaft möglicherweise nicht gut für das Bakterium?
Elektronenmikroskopische Darstellung von Umsatzorten reduzierender Enzyme in Bakterien durch Methylenblau-Silber https://elib.uni-stuttgart.de/server/api/core/bitstreams/26357a1a-ac5f-4acd-9ef6-ba98dacd850a/content
Műller D, Krakowska A, Zontek-Wilkowska J, Paczosa-Bator B. Simple and hybrid materials for antimicrobial applications. Colloids Surf B Biointerfaces. 2025 Sep;253:114747. doi: 10.1016/j.colsurfb.2025.114747. Epub 2025 May 2. PMID: 40347664. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40347664/
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Deutsche Medizinische Wochenschrift 1913 39, 2. Halbjahr Ab 1289 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive https://archive.org/details/DeutscheMedizinischeWochenschrift1913392.HalbjahrAb1289/page/n1086/mode/1up
PharmaWiki - Corpora non agunt nisi fixata https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Corpora+non+agunt+nisi+fixata
Über die Wirkung des Methylenblau bei Malaria
Malaria ist ein Fall, wo es schon 1891 Daten gab, dass Methylenblau funktioniert. Irgendwann bekam man Angst (gemacht), dass MB zu reduzierten Hämoglobinwerten bei Malariabehandlung führt und setzte auf Chinin, welches das gleiche Problem verursacht. Nun entwickeln sich erste Resistenzen gegen Chinin:
Pyämie - DocCheck Flexikon https://flexikon.doccheck.com/de/Py%C3%A4mie
[PDF] Zur Behandlung septischer Allgemeininfektionen mit Methylenblausilber (Argochrom) | Semantic Scholar https://www.semanticscholar.org/paper/Zur-Behandlung-septischer-Allgemeininfektionen-mit-Edelmann-M%C3%BCller-Deham/52fe3e7da91243df1968845d707ece0b19f54e62
Deutsche Medizinische Wochenschrift 1917 43, 1. Halbjahr : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive https://archive.org/details/DeutscheMedizinischeWochenschrift1917431.Halbjahr/page/n721/mode/2up
Deutsche medizinische Wochenschrift : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive https://archive.org/details/deutschemedizini5111unse/page/658/mode/2up
Elektronenmikroskopische Darstellung von Umsatzorten reduzierender Enzyme in Bakterien durch Methylenblau-Silber https://elib.uni-stuttgart.de/server/api/core/bitstreams/26357a1a-ac5f-4acd-9ef6-ba98dacd850a/content
s.a. die Rollkuren bei Magengeschwüren, habe selbst noch einen Fall mit Silberablagerung in der Haut bei jahrelangem Abusus gesehen (bläulich-metallische Verfärbung der gesamten Körperoberfläche)