Ein Antineuraligicum ist ein Mittel gegen Rheuma.
Methylenblau ist ein Schmerzmittel und entzündungshemmend.
Da verwundert es nicht, dass es auch bei Rheuma eingesetzt wurde.
Ein Beispiel, wie ein Wissenschaftlicher Artikel in der “Deutsche Medizinische Wochenschrift” zu einer Empfehlung eines Arztes in der “Wiener Medizinische Wochenschrift” wird, danach zu einer “Therapeutischen Notiz” und anschließend zu einem Rezept in der “Drogisten-Zeitung” wird. Antirheumatin war möglicherweise eine Apothekenformulierung, welcher der Apotheker herstellte, da keine Bezugsquelle genannt wird.
1 Deutsche Medizinische Wochenschrift 1891
“II. Aus Prof. Brieger’s Poliklinik für innere Krankheiten.
Ueber das Methylenblau als Antineuralgicum.
Von Dr. Robert Imnierwahr, Assistenten der Poliklinik.
Auf Grund theoretischer Erwägungen, welche sich auf die bekannten experimentellen Arbeiten Ehrl ich’s 1 ) über das Methylenblau stützen, vermuteten Ehrlich und Leppmann-), dass das Methylenblau schmerzstillende Wirkung äußere. In der Tat konnten diese Autoren auch durch praktische Versuche bei neuritischen Prozessen und bei rheumatischen Affektionen der Muskeln, Gelenke und Sehnen sich von der Richtigkeit ihrer vorgefassten Meinung überzeugen, und zudem noch, was gerade für die Praxis von besonderer Bedeutung ist, feststellen, dass das Methylenblau weder bei höheren Dosen (bis 1,0 g pro die), noch bei längerem Gebrauche irgend welche üblen Nebenwirkungen verursachte.
Trotz dieser empfehlenswerten Eigenschaften scheint, nach den spärlichen Angaben in der Literatur 3 ) zu schließen, das Methylenblau als Arzneimittel nur wenig Anklang gefunden zu haben.
Da wir selbst nun in unserer Poliklinik teilweise recht beachtenswerte Erfolge damit erzielt haben, halte ich es für angemessen, auf dieselben hiermit die Aufmerksamkeit zu lenken.
Wir verabfolgten das Methylenblau innerlich zu 0,1 bis 0,3 g 3 mal täglich als trockenes Pulver in Gelatinekapseln. Um sicher zu sein, nur mit einem reinen Präparate zu operiren, kam nur zur Anwendung das von den Farbwerken, vormals Meister, Lucius, Brüning &Co. dargestellte Methylenblau medicinale, welches einen vollständig reinen Farbstoff darstellt, während das gewöhnliche, im Handel vorkommende Methylenblau chlorzinkhaltig ist und daher unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen kann. Von diesem Methylenblau medicinale sahen wir keinerlei unangenehme Nebenerscheinungen. Denn das Blauwerden des Urins kann man doch kaum dazu rechnen, obwohl man die Patienten stets darauf aufmerksam machen muss, da sie sich sonst leicht über diese sonderbare Färbung des Urins ängstigen. Nur bei Verabreichung von größeren Dosen, oder bei längerem Gebrauche stellt sich manchmal ein häufiger, sehr unangenehmer Harndrang ein, der sich aber leicht durch Verabfolgung kleiner Dosen von geriebener Muskatnuss beseitigen lässt. Indessen sind die Klagen über Blasenbeschwerden relativ selten.
Was nun die von uns in der Poliklinik mit Methylenblau behandelten Patienten anbetrifft, so haben wir bei 6 von ihnen, welche an einseitiger Ischias litten, im Gegensätze zu Ehrlich und Leppmann auch nicht den mindesten Erfolg gesehen, nicht einmal vorübergehenden Nachlass der Schmerzen. Bei diesen Patienten wurde, da nach 8 bis 14 Tagen der Methylenblautherapie kein Erfolg zu verzeichnen war, zu einer anderen Mediation übergegangen.
Dagegen verschwand in 2 Fällen von Trigeminusneuralgie nach Verabreichung von je 10 Kapseln Methylenblau ä 0,1 g die Neuralgie vollständig und dauernd.
Ebenso gelang es uns gleich Ehrlich und Leppmann in 3 Fällen von angiospastischer Migraine, dieses so quälende Leiden durch Methylenblau in 1 bis 2 Stunden vollständig zu beheben, und zwar in ziemlich nachhaltiger Weise, so dass auch wenigstens in den nächsten Wochen unsere Patienten von ihrer Geißel verschont blieben.
In mehreren Fällen von rein nervösem Kopfschmerz, sowie bei Alkoholdepression (vulgo Katzenjammer) genügte eine einmalige Gabe von 0,1 g Methylenblau, um die Beschwerden innerhalb einer Stunde vollständig zu beseitigen.
Bei einem Kollegen, der an Muskelrheumatismus litt, verschwanden unter der Methylenblautherapie die Schmerzen innerhalb 24 Stunden, allmählich mehr und mehr nachlassend, in gleicher Zeise, wie es Ehrlich und Leppmann schon geschildert haben.
Schließlich wurde die Methylenblautherapie noch in zwei Fällen von Herpes zoster mit sehr günstigem Erfolge ausgeübt. Denn die gerade hier so überaus heftigen Schmerzen ließen unter der üblichen Gabe von 0,1 g pro dosi und 0,3 g pro die innerhalb 6 Tagen nach, worauf alsdann die Herpesbläschen rasch eintrockneten.
Wenn wir auch nur eine kleine Anzahl von Patienten mit dem Methylenblau zu behandeln in der Lage waren, so scheinen doch die damit erzielten Resultate jedenfalls zu weiteren Heilversuchen mit diesem Farbstoffe in seiner Eigenschaft als Antineuralgicum zu ermutigen. Ein leider soweit verbreitetes Uebel wie die Ischias scheint allerdings, wenigstens nach unseren Beobachtungen, nicht durch das Methylenblau beeinflusst zu werden. Natürlich muss man die Anwendung des Methylenblau als schmerzstillendes Mittel nur auf rein nervöse Erkrankungen beschränken, da es bei Schmerzen aus anderen Ursachen, z. B. bei Magengeschwür, Carcinom etc. vollständig versagt. ______ “
1) Über die Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
Deutsche med. Wochenschr. 1885, No 18.
2 ) Über schmerzstillende Wirkung des Methylenblau. Deutsche med.
Wochenschr. 1890 No. 23. 2
3 ) a) Einhorn, b) Com bemale.
3 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 45, 1891, S. 1832
“Methylenblau als Antineuralgicum (Rheumamittel) empfiehlt Immerwahr (Deutsche Med. Wochenschr. Nr. 41, 1891). Er verabfolgt es innerlich zu 0.1 bis 0.3 Gr, 3 Mal täglich, als trockenes Pulver in Gelatinekapseln. Bei 6 Fällen von Ischias wurde kein Erfolg gesehen. Dagegen wurden 2 Fälle von Trigeminusneuralgie4 vollkommen geheilt, ebenso 3 Fälle von angiospastischem und mehrere von rein nervösem Kopfschmerz. Auch bei Muskelrheumatismus und bei Herpes zoster schwanden die Schmerzen rasch.“
Deutsche Medizinische Wochenschrift, 18. Jahrgang 1892, S. 199
“Methylenblau. Von der Tatsache ausgehend, dass Metltylenblau eine besondere Verwandtschaft zum Nervensystem besitzt, haben Ehrlich und Leppmann (diese Wochenschr. 1890 No. 23) das Mittel bei neuritischen Prozessen und bei rheumatischen Atffektionen der Muskeln, Gelenke und Sehnenscheiden angewendet. Die analgetische Wirkung tritt ausnahmslos erst einige Stunden nach der Einverleibung auf und steigert sich bei gehöriger Dosis im Laufe der folgenden Stunden bis zum völligen Verschwinden der Schmerzen. Appetit, Verdauung, Pulszahl, Kräftezustand werden durch das Mittel nicht tangiert. Das Mittel wird entweder subkutan gegeben: 0,02—0,08 oder innerlich zu 0,1-0,5 in Gelatinekapseln. Die höchste Tsgesdosis betrug 1 g.
Auch Leué hat in einem Falle von Carcinom des Pylorus und der Leber die schmerzstillende Eigenschaft des Methylenblau in Kapseln à 0,2 beobachtet. R. Immerwahr (diese Wochenschr. 1891 No. 41) sah in sechs Fällen von Ischias keinen Erfolg vom Methylenblau, dagegen in zwei Fällen von Trigeminusneuralgien einen überraschend guten. Auch in drei Fällen von angiospatischer Migräne bewährte sich das Methylenblau. Auch bei nervösem Kopfschmerz und „Katzenjammer“ werden die Beschwerden durch 0,1 Methylenblau beseitigt. Weiter sah lmmerwahr günstige Erfolge bei Muskelrheumatismus und Herpes zoster. (Schluss folgt.)”
Deutsche Medizinische Wochenschrift, 18. Jahrgang 1892, S. 205
“Ich war bisher bestrebt, diejenigen Stoffe aus der großen Zahl der Anilinfarbstoffe, deren Wirkung immer antiseptisch, aber in sehr verschiedenem Grade ist, herauszusuchen und verarbeiten zu lassen, welche am besten rein darzustellen sind und zugleich für chirurgische und augenärztliche Zwecke die stärksten Antiseptika darstellen. Es ist aber wahrscheinlich, dass künftighin auch weniger antiseptisch wirkende Stoffe, als die von mir als Pyoctanine bezeichneten, z. B. Methylenblau oder auch das dem blauen Pyoctanin (Gentianaviolett5) am nächsten stehende Malachitgrün, wenn sie ganz rein sind, für gewisse Zwecke sich brauchbar erweisen werden, weil sie sich leichter in Kochsalz lösen oder, wie speziell Methylenblau, leicht ins Blut übergehen. Aber für Wund- und Geschwürsbehandlung ist z. B. Methylenblau gerade aus diesem Grunde weniger tauglich, als das viel stärker antiseptisch wirkende und weniger leicht in die Blutbahn übergehende Pyoctanin. Auch bei innerlicher Anwendung muss dies in Rechnung gezogen werden, als Antineuralgikum wird Methylenblau unbedingt vorzuziehen sein (Ehrlich), dagegen etwa bei Darmmykose die anderen Präparate.”
6 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 42, S. 1706, 1893
“Bei Neuralgieen versuchte Blomberg (Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 7, 1895) Injektionen von Methylenblau. Bei 6 Ischiasfällen wurde das Mittel teils subcutan, teils in Kapseln per os gegeben. Die Injektion rief zwar konstant einen Schmerzanfall hervor, nach 1—2 Stunden Schwand jedoch der Schmerz, so dass B. das Methylenblau als ein recht wertvolles Adjuvans in der Ischiastherapie auffasst.”
7 Drogisten-Zeitung, 20. April 1894, S. 168
“Antirheumatin* benennt Kamm eine Verbindung des Natriumsalicylates mit Methylenblau. Dasselbe kommt in dunkelblauen Krystallprismen, die in Wasser und Alkohol löslich sind, vor, besitzen einen matten, etwas bitterlichen, hinten nach scharfen Geschmack, der an Salicylsäure erinnert. Dasselbe wird in Dosen von 1 bis 15 gr in Pillen, jede 2 bis 3 Stunden eine Pille, gegen Rheumatismus empfohlen. Der Urin ist beim Ablassen blau, wird beim Stehen grün; mitunter ist der Urin sofort grün, was auf eine vorhergehende Oxydation hinweist.”
*) Medio. Standard.
8 Drogisten-Zeitung, 20. September 1894, S. 411
“Antirheumatin ist nach Kamm eine Verbindung des salicylsauren Natron mit Methylenblau, welche in blauen prismatischen in Wasser und Alkohol löslichen Krystallen vorkommt und ähnlich wie salicylsaures Natron9 schmeckt. Durch das Antirheumatin wird der Harn blau oder grün gefärbt. (Boll. Farm. 1894, 6.)”
10 Drogisten-Zeitung, 8. Mai 1895 S. 190
“Antirheumatin ist eine Verbindung des Natriumsalicylates mit Methylenblau. Dasselbe kommt in dunklen Krystallprismen, die in Wasser und Alkohol löslich sind, vor, besitzt einen matten, etwas bitterlichen, hinten nach scharfen Geschmack, der an Salicylsäure erinnert. Nach dem Einnehmen wird der Urin beim Ablassen blau, beim Stehen grün, mitunter ist der Urin sofort grün, was auf eine vorhergehende Oxydation hinweist.”
11 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 18, 1899, S. 870
“Robin teilt Beobachtungen Lemoines über den Wert des Methylenblau bei akutem Gelenksrheumatismus und akuter gonorrhoischer Arthritis mit. Das Mittel ist mindestens ebenso wirksam wie salicylsaures Natron. Bei Verwendung eines chemisch reinen Präparates erscheint seine Anwendung frei von jeder üblen Nebenwirkung.”
Deutsche Medizinische Wochenschrift 1891 17 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive https://archive.org/details/DeutscheMedizinischeWochenschrift189117/page/n1183/mode/2up
Paul Ehrlich 1890 über Methylenblau
Ich hatte schon im Juli 2023 einen Artikel über Methylenblau geschrieben.
“Die Trigeminusneuralgie ist ein Gesichtsschmerz, der sich auf das Versorgungsgebiet des so genannten Drillingsnervs (Nervus trigeminus) beschränkt. Die Trigeminusnerven leiten die Empfindungen beider Gesichtshälften weiter und sind in jeweils drei Äste aufgeteilt, die Stirnpartie, Unterkiefer und Oberkiefer sowie Oberlippe versorgen. In den meisten Fällen ist bei einer Trigeminusneuralgie der zweite oder dritte Nervenast geschädigt. Dementsprechend sind der Ober- und Unterkiefer sowie die Lippe und Wange betroffen und dies in der Regel nur auf einer Gesichtshälfte.
Eine Trigeminusneuralgie ist gekennzeichnet durch blitzartig einschießende Schmerzen, die sich nach Phasen völliger Beschwerdefreiheit salvenartig wiederholen können. Die Schmerzintensität ist extrem heftig, die Salven dauern meist nur Sekunden, manchmal aber auch bis zu zwei Minuten an. Solche Schmerzanfälle können mehrmals täglich vorkommen, wobei sich die Abstände zwischen den Attacken im Laufe der Zeit verkürzen. Charakteristisch ist die Auslösung durch so genannte „Triggerreize“.
Vier von 100.000 Menschen leiden hierzulande unter einer Trigeminusneuralgie, Frauen etwas häufiger als Männer. Meist treten die ersten Beschwerden nach dem 40. Lebensjahr auf.” Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerzen) ». (n.d.). https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/erkrankungen/trigeminusneuralgie-gesichtsschmerzen/
“Gentianaviolett (ATC D01AE02 Externer Link) ist desinfizierend, antibakteriell gegen grampositive Bakterien (z.B. Staphylokokken), schwächer antibakteriell gegen gramnegative Bakterien, antimykotisch gegen Hefepilze (Candida) und Dermatophyten und antiparasitär. Es ist adstringierend, eiweissfällend, austrocknend und entzündungshemmend.” PharmaWiki - gentianaviolett. (n.d.). https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=gentianaviolett
Möglicherweise Natriumsalicylat eine Vorstufe zur Synthese von Acetylsalicylsäure (ASS).?
mich deucht, man muss im status nascendi mutig und schnell aufdosieren (0,3 x 3/d?) resp. bis zur durchgehenden Blaufärbung des Urins