Das Geheimmittel - von Rudolf von Eichthal
Eine Kurzgeschichte über einen Streich mit Methylenblau
1 Das Kleine Blatt 17. Jahrgang, Folge 120 , 1. Mai 1943
Er war vor dem Weltkrieg in einer Garnisonsstadt der alten Monarchie. Oberst Bogdanovic von der Reznicek-Infanterie, war kein angenehmer Vorgesetzter.
Im Grunde seiner Seele ein guter Mensch, war er äußerlich doch rau wie ein Pferdestriegel. Aber auch dieser raue Krieger hatte eine verwundbare Stelle und das war seine Apfelschimmelstute Proserpina, ein Pferd, dass er, der vermögenslose Stabsoffizier, um blutiges Geld von einem Kavallerieoffizier gekauft hatte und das er daher hütete wie seinen Augapfel. Wenigstens sechsmal im Tag lief er aus seiner in der Kaserne befindlichen Naturalwohnung in den Regimentsstall, um nach dem Wohlbefinden der Proserpina zu sehen. Und er drohte dem Pferdewärter mit den schwersten zeitlichen und ewigen Strafen, wenn dem kostbaren Pferd etwas zustieße. Nun begab er sich, dass das Offizierskorps des Regiments Regimentsball abhielt, und ausgerechnet für den darauffolgenden Morgen hatte der grimme Bogdanovic eine scharfe Wintermarschübung, noch dazu mit so frühem Aufbruch angesetzt, dass die müde getanzten Leutnants hätten vom Ballsaal geradeswegs zur Übung abmarschieren müssen. Das verdross die Guten, und sie berieten daher auf dem Ball, wie man den Obersten zur Absage der Übung veranlassen könnte. Auf dem gewöhnlichen Weg durch eine Bitte war das aussichtslos, denn nichts auf der Welt hätte den Alten bewegen können, eine einmal anberaumte Übung auch nur um eine Minute zu verschieben.
Nun diente in diesem Regiment ein junger Mann, ein gerissener Galgenstrick, der mehr konnte, als Brot essen, der sagte als er sah, wie die Kameraden sich vergeblich wegen der Absage der Übung den Kopf zerbrachen: „Ich wüsste schon ein Mittel, wie man den Alten dazu bewegen könnte. Man müsste der Proserpina irgend etwas Unschädliches eingeben, so dass sie nicht ausrücken kann.“
Dieser Plan, so verwerflich er an sich auch war, fand bei dem jungen Volk lebhaften Anklang. Man berief den Oberarzt zu einer geheimen Beratung, und das Ergebnis war, daß der Oberarzt irgend etwas aus der Apotheke des Marodenzimmers holte und daraufhin gegen den Morgen der Inspektionsoffizier in den Regimentsstall eilte und sich im Stande der Proserpina, die eben futterte, unauffällig zu schaffen machte. Eine Viertelstunde später stürzte der Pferdewärter der Proserpina - Nerozum hieß der Gute — schreckensbleich in die Wohnung des Oberst und rief: „Pane Proserpina pischte blau!“
Der Oberst, der sich eben zur Marschübung umkleidete, glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Was ist? Rede deutlich!“ herrschte er den Mann an.
„Proserpina pischte blau!” wiederholte der andere mit angstverzerrten Zügen.
Dem Alten standen, als er endlich begriff, was der Bursche sagte, die Haare zu Berge. So wie er war, in Hemd und Unterhose, nur den Mantel umgeworfen, rannte er in den Stall, wo bereits ein Gremium von Pferdewärtern den Stand der Proserpina umlagerte und den noch nie dagewesenen Fall aufgeregt besprach. Zwei von ihnen zur Seite stoßend, trat der Oberst an das geliebte Ross heran, das seelenruhig seinen Hafer fraß, und ließ sogleich jenen Trillerpfiff ertönen, der merkwürdigerweise alle Pferde der Erdkugel augenblicklich zum Strahlen veranlasst. Es dauerte auch keine zwei Sekunden, so hob Proserpina den silberweißen Schweif gleich einer Fahne, und hervor schoss zum Entsetzen des Alten in weitem Bogen ein kräftiger Strahl einer dunkelblauen Flüssigkeit.
Dem Obersten lief es eikalt über den Rücken. Sein Pferd, seine Proserpina, augenscheinlich todkrank, vielleicht gar dem Verenden nahe. Grässliche Verwünschungen ausstoßend, drang er in den entsetzten Burschen, was er denn dem armen Tiere angetan habe. Der schwur bei allen Heiligen des "böhmischen Kalenders, dass er die ganze Nacht nicht aus dem Stall gewichen sei und die Proserpina besser gehütet habe als jemals seine leibliche Mutter.
„Kurschmied her, sofort!“ brüllte der Oberst.
Aus dem besten Schlummer geweckt, erschien dieser würdige Beamte etwas verschlafen, besah sich das Pferd von allen Seiten, ließ gleichfalls den gewissen Trillerpfiff hören, worauf abermals mit großer Promptheit das blaue Wunder erfolgte.
Der Kurschmied, dem solches in seiner ganzen Dienstzeit noch niemals vorgekommen war, machte ein bedenkliches Gesicht. Er dachte eine Weile nach und sagte dann ernst: „Mir scheint's, ise Anzeichen von Rotz.“
Gut, dass er in diesem Augenblick einen Sprung rückwärts machte, denn der Alte hätte ihn sonst erdrosselt. Seine heißgeliebte Proserpina und Rotz, die schrecklichste, ansteckendste, tödlichste aller Pferdekrankheiten! Nicht auszudenken! „Ziviltierarzt her, sofort!" rief er verzweifelt. „Und dem Inspektionsoffizier melden, dass die heutige Marschübung abgesagt ist!“
Was soll ich weiter erzählen? Der Tierdoktor kam, schüttelte erstaunt den Kopf, ließ das blaue Phänomen zum drittenmal sprudeln, lächelte dann ein wenig, verordnete ein Tränkchen und beruhigte den aufgeregten Alten. Und richtig, im Laufe des Vormittags wurde, während der Oberst keinen Schritt aus dem Stande der Proserpina wich, das Ultramarin zuerst veilchenblau, dann himmelblau, dann blaßblau, und gegen Mittag sprudelte der Quell zur namenlosen Freude des Alten wieder im schönsten Topasgelb wie sonst.
Die Übung aber war abgesagt und die tanzmüden Offiziere schliefen an diesem Morgen bis zum Mittagessen wie die Murmeltiere. „Was war das eigentlich für ein Pulver, das ich dem Gaul ins Futter schüttete?" fragte während des Essens der schuldige Leutnant den Oberarzt.
„Methylenblau C16 H18 N3 SCI oder, wenn du den genauen wissenschaftlichen Namen haben willst, Tetramethylamidodiphenthiaginiumchlorid“, erwiderte lächelnd der Gefragte. „Ganz unschuldiges, harmloses Färbemittel, das wir bei gewissen Nieren und Blasenleiden zu Konstatierungen verwenden. Wirkt auch beim Menschen prompt in zirka elf Minuten. Kannst es an dir selbst probieren, wenn du Lust dazu hast.“
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