Coerulamin „Richter“
Coerulamin war eine Kombination aus Methylenblau und Hexamethylentetramin (Methenamin, Urotropin)
1 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 33, 1936, S. 889
Auch damals gab es bereits in den medizinischen Journals Pharmawerbung.
Coerulamin war eine Kombination aus Methylenblau und Hexamethylentetramin.
“Hexamethylentetramin gehört zu den Konservierungsstoffen, die ursprünglich dem medizinischen Bereich entstammen. Man versuchte, die dort erkannte antimikrobielle Wirkung auch im Lebensmittelsektor auszuwerten in der Annahme, daß ein auf dem medizinischen Gebiet segensreicher Stoff für Lebensmittel nicht schädlich sein könne. Bereits Anfang dieses Jahrhunderts wurde Formaldehyd, der eigentliche Wirkstoff des Hexamethylentetramins, in Abmischung mit Wasserstoffperoxid zur Milchkonservierung benutzt [1]. Etwa in dieser Zeit begann auch die Verwendung von Hexamethylentetramin selbst zur Konservierung anderer, hauptsachlich tierischer Lebensmittel. Als Konservierungsstoff für Fischmarinaden hat sich Hexamethylentetramin in den 20er Jahren durchgesetzt; für dies en Zweck wird es in einigen Ländern heute noch eingesetzt, in einigen anderen ist es aufgrund toxikologischer Bedenken inzwischen wieder verlassen worden.”2
Hexamethylentetramin war damals bereits ein gängiges und erprobtes Mittel, welches 1894 als Urotropin zur Desinfektion der Harnwege genutzt wurde.3
Das Mittel ist auch heute noch als Methenamin gelistet: “Methenamin (Hexamethylentetramin oder Urotropin) hat antiseptische Eigenschaften und wird in verschiedenen medizinischen und industriellen Anwendungen verwendet. In der Medizin wird Methenamin bei Harnwegsinfektionen und zur Kontrolle von Schweißgeruch eingesetzt.” 4
5 Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 33, 1936, S. 899
Aus der Urologischen Station des Franz Josef-Spitales, Wien, Vorstand Professor Dr. R. Paschkis.
Erfahrungen mit Coerulamin „Richter“.
Von Dr. THEODOR I. LEVENSTEINS.
Für die Behandlung der entzündlichen und infektiösen Zustände der Harnwege kommt neben entsprechender Diät hauptsächlich die medikamentöse und lokale Therapie in Frage. Wo diese versagen und es die Umstände erheischen, tritt dann die chirurgische Behandlung in ihre Rechte. Die medikamentöse Therapie beruht auf Desinfektionswirkungen, bei anderen Medikamenten auch auf erhöhter Diurese. Die lokale ist nur dort möglich, wo die Lokalisation der Entzündung die Einführung eines Instrumentes erlaubt, was bei den Urogenitalerkrankungen, ja gewöhnlich der Fall ist. Die chirurgische kommt nur dann in Frage, wenn lokale und medikamentöse Therapie erfolglos waren oder aus verschiedenen Gründen, meistens anatomischer Natur, von vornherein aussichtslos waren.
Sowohl die medikamentöse Therapie, als auch die lokale sollen möglichst früh angewandt werden und es darf nicht gewartet werden, bis die medikamentöse sich als erfolglos erweist und dann erst zur lokalen geschritten wird, denn verspätete lokale Behandlung akuter Entzündungen kann sie chronisch machen. Am besten kombiniert man die beiden Behandlungsarten, wobei man den therapeutischen Wert der Harnantiseptika weder über- noch unterschätzen darf. Es gibt leider bis heute noch kein ideales Harnantiseptikum. Eines der besten und heute am verbreitetsten ist das Urotropin (Hexamethylentetramin). Sein Wirkungsmechanismus ist bekannt. Nur auf 3 Punkte möchten wir hinweisen.
1. Wird eine stärkere Wirkung des Hexamethylentetramins durch dessen Verbindung mit einem anderen Medikament ausgelöst.
2. Wird das Hexamethylentetramin oft mit einer verringerten Flüssigkeitsmenge verordnet, was unserer Erfahrung nach nicht nötig ist, da ja die Abspaltung des Formaldehyd vom P, des Harnes abhängt, welcher Wert unabhängig von der Konzentration des Harnes ist.
3. Die Wirkung des Hexamethylentetramins, und das bezieht sich auf alle Harnantiseptika, ist individuell verschieden, da die Formaldehydabspaltung vom Funktionszustand der Nieren abhängig ist.
Bei gesunder Niere wird Formaldehyd in größerer Konzentration ausgeschieden, durch die Reizwirkung des plötzlich mehr konzentriert abgespaltenen Formaldehyd kommt es manchmal zu Reizzuständen und zeitweise zu Hämaturie (Blut im Urin). Diese Abspaltung geht bei saurer Harnreaktion vor sich, wobei wir noch bemerken möchten, dass alkalischer Gesamtharn noch nicht bedeutet, dass er schon in der Niere alkalisch ausgeschieden wird. Hexamethylentetramin soll auch alkalischen Harn ansäuern.
Die Wirkung des Hexamethylentetramin und seiner Derivate ist hauptsächlich eine oberflächliche. Der abgespaltene und ausgeschiedene Stoff übt, wenn er in einer bestimmten Konzentration mit dem Harn in Berührung kommt, eine antiseptische Wirkung aus. Der große Nachteil dieser Wirkung ist, dass Formaldehyd nicht in die tieferen Regionen der Schleimhaut eindringen kann, und dass es nur so lange mit der Schleimhaut in Berührung steht, so lange seine Ausscheidung im Harn dauert.
Bei den Farbstoffen gelang es, diesen Mangel zu beseitigen, da sie den ganzen Organismus, vor allem die Schleimhäute und Drüsen, imbibieren und so eine größere Tiefenwirkung haben. Ihre bakterizide Wirkung wird auf zweierlei Art erklärt. 1. Besitzen die Bakterien eine besondere Affinität den Farbstoffen gegenüber, die Farbstoffe dringen in die Bakterienkörper ein und vernichten sie, anderseits verschlechtern sie den Nährboden. In neuerer Zeit wird auch eine Beteiligung des retikulo-endothelialen Systemes angenommen.
In der urologischen Praxis wird seit langem das Methylenblau mit großem Erfolg verwendet. Es wurde 1877 von Caro als Chlorid dargestellt und gehört zur Reihe der Thiazine. Für medizinische Zwecke werden besonders reine Präparate als Chloride dargestellt, welche in Wasser leicht löslich sind. Säugetiere vertragen nach den Versuchen von S. Mayer sehr gut auch hohe Dosen des Methylenblau, auch bei subkutaner und intravenöser Anwendung. Nach den Untersuchungen von Olivieri ist es zweckmäßig Methylenblau auf internem, beziehungsweise parenteralem Wege zu verabreichen, da man so imstande ist, es direkt zu den verschiedenen Organen gelangen zu lassen, wo es elektiv an die Zellen gebunden wird und die Widerstandskraft derselben erhöht. Methylenblau wirkt auch schmerzlindernd. Diese Wirkung beruht auf der Durchdringungsfähigkeit des Farbstoffes in die Schleimhaut und auf die dort ausgeübte Wirkung an den Nervenenden. Wie bekannt, wird auch Methylenblau ei inoperabler Nieren- und Blasentuberkulose als Palliativum verwendet.
Es lag nahe, die gute Tiefenwirkung des Methylenblau mit der der Oberflächenwirkung des Hexamethylentetramin zu verbinden und das so entstandene Präparat Coerulamin Richters, Erzeugnis der chemischen Fabrik Gedeon Richter A. G., haben wir auch bei einer größeren Anzahl von Patienten versucht, worüber wir kurz berichten wollen.
Bei der Beobachtung der Wirkung wählten wir den üblichen Weg. Einerseits beobachteten wir das Verhalten der klinischen Symptome, der subjektiven Beschwerden und die Veränderung des Eiters und Bakteriengehaltes im Sediment des Harnes, wobei wir bemerken müssen, dass die Verminderung der Bakterienzahl und Änderung des klinischen Krankheitsbildes nicht immer parallel laufen. Bei der Beurteilung der Harnantiseptika dürfen daher die quantitativen Veränderungen im Harnsediment nicht als absolute Werte angesehen werden, sondern dürfen nur zusammen mit dem klinischen Krankheitsbild und den subjektiven Symptomen verwendet werden.
Das Coerulamin, welches wir ausschließlich intravenös verwendet haben, besteht aus 20g Hexamethylentetramin und 0,02g Methylenblau. Wir haben es bei 22 Patienten versucht und niemals irgendwelchen Schaden oder Verschlechterung des Zustandes gesehen. Alle Patienten vertrugen das Coerulamin gut (mit Ausnahme eines Prostatikers mit Restharn, der nach der Injektion Tenesmen (schmerzhaften Stuhl- oder Harndrang) bekam und bei dem die Behandlung unterbrochen wurde). Das Coerulamin färbt den Harn grünlich-blau. Seine Dosis ist peroral 3-6 Tabletten täglich, intravenös 1 Ampulle täglich. Ich möchte hinzufügen, dass wir das Coerulamin ausschließlich bei Patienten verwendet haben, die mehr oder weniger lang in Behandlung standen und bei denen andere Behandlungen, respektive Medikamente keinen oder unwesentlichen Erfolg hatten. Von den behandelten 22 Fällen litten:
7 an Zystitis (4 Coli, 2 Mischinfektion, 1 Kokken),
3 an Pyelitis (alle 3 Coli),
3 an Pyelitis nach Steinoperation (2 Coli -Staphylokokken, 1 Paracoli-, Strepto-, Staphylokokken).
3 an Prostatahypertrophie mit infiziertem Restharn (1 Coli-, Streptokokken, Restharn zirka 120. 1 Coli, Restharn zirka 70-1, Coli-, Staphylo-, Streptokokken, Restharn zirka 25),
5 an Zystopyelitis (2 Mischinfektion und 3 Col),
1 an einer Strictura urethrae (Mischinfektion).
Die Dauer der Behandlung, die die Patienten vorher gehabt hatten, war ganz verschieden. Von 1,5 Jahren bis zu einigen Wochen, in welcher Zeit sie sowohl lokal, als auch medikamentös behandelt wurden. 10 von ihnen wurden auch einer Alkali Säuretherapie unterworfen. Bei 2 Fällen mit Restharn war vorher der Dauerkatheter verwendet worden und bei 2 Pyelitiden der Ureteren - Dauerkatheter. Die Zahl der Injektionen war ganz verschieden. Bei einigen Fällen genügten zur Heilung, beziehungsweise Besserung schon 2 Injektionen, bei anderen ließ sich erst eine Besserung nach zahlreichen Injektionen (bis zu 16) wahrnehmen. Einige der Fälle wurden auch zugleich einer lokalen Behandlung unterworfen. In den meisten Fällen sahen wir eine Klärung des Harnes, Verminderung, beziehungsweise Verschwinden der Bakterien und Leukocyten, wobei zu bemerken ist, daß eine bakteriologische Heilung, wie bekannt, sehr schwer zu erzielen ist und auch mit Coerulamin nur schwer herbeizuführen ist. Bei Vorhandensein von Temperatur sank, beziehungsweise schwand die erhöhte Temperatur in den meisten Fällen bis zur Norm. Die subjektiven Beschwerden, wie oftmaliger Harndrang, Schmerz beim, beziehungsweise nach dem Urinieren wurden viel besser. Bei einigen Fällen wurden nur die subjektiven Beschwerden geringer, ohne wesentliche Besserung des Harns. Nach Aussetzen des Mittels trat bei einigen Kranken wieder eine Verschlechterung ein, die aber auf Coerulamin wieder schwand. Bei vielen Fällen kann man praktisch von Heilung sprechen.
Die nähere Wirkung illustrieren die folgenden Beispiele:
37 jährige Frau mit Zystopyelitis, B. Coli, die seit 21. Monaten in Behandlung steht. Öfter Harndrang, Harn trüb, Nitrite positiv, Coli reichlich vorhanden. Trotz Behandlung mit Spülungen, Instillationen, Alkali-Säuretherapie wenig Besserung. Schon nach drei Injektionen mit Coerulamin wird der Harn besser, aber noch immer trüb und die subjektiven Beschwerden bessern sich auch, besonders der Harndrang nachts. Nach 3 folgenden Injektionen, also insgesamt 6, wird der Harn klar und Pat. wird dauernd beschwerdefrei.
49 jährige Frau, leidet seit 4 Wochen an beiderseitiger Pyelitis, heftige Schmerzen, Erbrechen, 3 Tage Temperatur bis 39,1. Der Harn ist trüb, Albumen positiv, Nitrite stark positiv, massenhaft Leukozyten und Coli. Trotz Alkali-Säuretherapie, verschiedener Medikamente, auch Injektionen, wenig Besserung. Schon nachInjektion mit Coerulamin wird der Harn klarer und die subjektiven Beschwerden werden geringer. Nach insgesamt 3 Injektionen wird die Pat vollständig gesund.
Auf Grund dieser Untersuchungen bei 22 Fällen von Zystitis, Pyelitis, Zysto-Pyelitis, Pyelitis nach Operation infizierter Nierensteine, Prostatahypertrophie mit infiziertem Restharn, bei Strikturen mit infiziertem Restharn, kann gesagt werden, dass das Coerulamin „Richter“ eine glückliche Kombination von Hexamethylentetramin und Methylenblau ist. Es kürzt oft wesentlich den Krankheitsverlauf ab, bessert die subjektiven Beschwerden, klärt oder bessert den Harn und verursacht beinahe niemals Reizerscheinungen seitens der Blase. Es stellt eine Bereicherung unserer bisherigen Harndesinfizienzien mit einem ausgezeichneten Präparat dar.
Literatur. Handbuch der Pharmakologie. — Olivieri: Ref z. Chir. Urolog. 1933. — Kron. Therapia 1932. — Minder Z. Urol. 1932.
Lück, E. (1986). Hexamethylentetramin. In Springer eBooks (pp. 123–127). https://doi.org/10.1007/978-3-642-96924-9_20 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-96924-9_20
Wikipedia-Autoren. (2004b, June 20). Hexamethylentetramin. https://de.wikipedia.org/wiki/Hexamethylentetramin#cite_ref-auterhoff_8-0
Kahle, C. (2024, April 3). Methenamin. Gelbe Liste Online. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Methenamin_288
Urotropin hab ich 1975 bei einer schweren Pyelonephritis als basales Starter-Therapeutikum i.v. bekommen, hervorraged vertragen und es hat sehr gut gefunzt.