Eine Gruppe von Jungen, die wegen eines Atomkrieges evakuiert werden sollte, stürzt auf einer einsamen Insel ab. Zunächst läuft alles noch zivilisiert ab. Man wählt einen Chef und macht Regeln und bleibt schön britisch. Bald jedoch gehen sich die Jungs gegenseitig an die Kehle.
„Lord of the flies“ ist ein Jugendbuchklassiker. Veröffentlicht wurde das Buch 1954, während des kalten Krieges. Das Buch ist nicht sonderlich innovativ und hat viele, deutliche Schwächen, obwohl es spannend und unterhaltsam zu lesen ist.
=== Problematischer Anfang ===
Zunächst einmal ist da das Problem, dass die Jungs auf der Insel abstürzen und keiner auch nur eine Schramme davonzutragen scheint. Wie genau landen sie auf der Insel? Warum ist nichts vom Flugzeug übrig, mit dem sie arbeiten können? Es könnte noch als Unterschlupf dienen und man könnte Teile davon noch verwenden? Wie überhaupt haben sie den Absturz unbeschadet überstanden und sind an unterschiedlichen Stellen der Insel runtergekommen? Wie kann es sein, dass die Jungs nicht wissen, wie viele Kinder ungefähr an Bord waren und es auch nicht hinbekommen jemals durchzuzählen? Haben die am Flughafen wirklich gar nicht miteinander geredet? Der Anfang ist mehr als suspekt.
=== Klischeehafte Protagonisten ===
Der Autor ist ein „Meister“ des foreshadowing oder des spoilerns. Es fängt schon damit an, dass der Chor, schwarz gekleidet, mit schwarzen Umhängen auftaucht… Ja klar, die Kinder werden in Chorgewändern evakuiert… Die dunkle Jägermeute ist schon im ersten Kapitel durch ihre Dementorenkleidung als böse und anders gekennzeichnet.
Die Charakterisierung der Protagonisten ist auch sehr didaktisch offensichtlich. Schon in Kapitel 1 ist Jacks Weg vorgezeichnet „Next time there would be no mercy“. Schon zum Ende von Kapitel 1 ist somit klar, wer der Psychopath der Insel sein wird. Für unaufmerksame Leser gibt es dann den Holzhammerhinweis in Kapitel 3 „The madness came into his eyes again.“
Ralph ist leider auch der typisch gute Langweiler. Der Ritter auf dem weißen Ross, der lawfull good palladin. Wer mal AD&D gespielt hat weiß, der geht einem irgendwann auf die Nerven und wird von der eigenen Spielegruppe getötet. Auch Ralphs Schicksal ist damit vorgezeichnet.
Piggy der Nerd. Das Symbol für Technik und Fortschritt. Moppelig und asthmatisch. Klischeehafter geht es nicht mehr.
Simon der epileptische (?) Seher bleibt farblos und ist im Großen und Ganzen auf seine Funktion reduziert.
Die anderen Figuren bleiben anonym, bekommen Großteiles weder Namen noch Gesicht, sie sind reine Staffage. Die littluns als Präkariat dieser Gesellschaft, werden als unwichtig bezeichnet und ignoriert. Da hätte man mehr draus machen können.
=== Robinsonade reloaded ===
Die Geschichte ist eine Robinsonade. Man könnte sie ein Anti „Zwei Jahre Ferien“ (Jules Verne) nennen. In Jules Vernes Version bauen die Jungs eine ordentliche britische Zivilisation auf. In „Lord oft he Flies“ gibt es diese imperialistischen Anwandlungen auch noch zu Hauf: „The English are the best at everything.“ Aber es gibt schon Hinweise, dass das nur eine dünne Fassade ist eine „illusion of mastery“. Schon bald beginnen sich die Jungen wie wilde anzumalen und hinter dieser Kriegsbemalung, wie hinter einer Maske zu verstecken. Von da an geht es abwärts. Die Angst zu töten wird nach und nach zu einem Blutrausch, der Menschenleben fordert.
Dass die Zivilisationsdecke eher dünn ist, wird bereits zu Anfang des zweiten Kapitels klar „We’ll have rules! […] Lots of rules!“ Regeln um der Regeln willen. Das kann nicht gut gehen, wenn man nicht verstanden hat, warum Regeln überhaupt aufgestellt werden.
Subtilität, dein Name ist nicht Golding. Der Autor liebt die Holzhammersymbolik. Die Muschel als Zeichen der Demokratie und das Feuer als Zeichen der Zivilisation. Des explizite darauf hinweisen, wenn es abwärts geht. Was einen erwachsenen Leser bald nervt und als Bevormundung empfunden wird, ist für Mittelstufe perfekt. Jugendliche brauchen diese Holzhammersymbolik, um eine Geschichte halbwegs interpretieren zu können. Sie sind noch nicht so erfahrene Leser, dass sie subtile Hinweise bereits erkennen. Da muss man das immer mal wieder direkter in den Text schreiben.
Was die Grundidee angeht, so war sie schon damals weder neu noch innovativ. Die Robinsonade war ein etabliertes Genre und gestrandete Kinder auf Inseln hat schon Jules Verne veröffentlicht. Neu ist, dass die Geschichte brutaler wird und in Richtung Battle Royale und Tribute von Panem driftet. Noch ist der Roman nicht so explizit Gewaltgeladen wie heutige dystopische Romane, er ist aber ein wichtiger Zwischenschritt zwischen „zwei Jahre Ferien“ und „Battle Royale“.