Robert Louis Stevenson - Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde
Sunday Classics
Für ein Seminar habe ich endlich „Jekyll and Hyde“ gelesen. Das Buch lag schon gefühlte Ewigkeiten auf keinen Klassiker SUB.
Irgendwie glaubt man ja die Geschichte zu kennen. Entweder hat man sie irgendwann mal als Film gesehen oder als Serie. Aber wer hat wirklich einmal das englische Original gelesen?
Das Erste, was überrascht, ist, dass das die Geschichte nicht wirklich ein Buch ist, dafür ist sie zu kurz. Für eine Kurzgeschichte ist sie aber zu lang. Streng genommen, handelt es sich um ein eigenes Genre, das in der viktorianischen Zeit sehr beliebt war, um eine kurze Erzählung.
An so ein Buch geht jeder mit einer gewissen Erwartung heran, die durch die moderne Pop Kultur geprägt ist, aus der man sich Jekyll und Hyde nicht her herausdenken kann. Daher war ich umso überraschter, dass 3/4 des Buches nur erzählt wird, wie John Utterson, Jekylls Anwalt, diese Ereignisse als Außenstehender erlebt hat. Ich versuchte mir also vorzustellen, wie es wäre, wenn man die Geschichte nicht kennen würde und sie zum ersten Mal liest. Man wüsste nicht, was Hyde und Jekyll verbindet. Erpresst Hyde Jekyll irgendwie und wenn ja, womit? Damals war das sicherlich eine spannende Geschichte mit überraschender, mysteriöser Wendung. Heutzutage jedoch, ist die Geschichte massiv gespoilert, von Anfang an. 3/4 des Buches fragt man sich also, wann es endlich passiert, und dann begeht Jekyll plötzlich Selbstmord. What the f***?
Erst im Nachhinein erfährt man aus Aufzeichnungen Jekylls, was passiert ist. Diese sind recht spannend, weil er sprachlich immer mal zwischen der ersten und zweiten Person wechselt, je nach dem wer gerade dominanter ist, Jekyll oder Hyde. Auch die kleinen Anlehnungen an Bibelzitate und Homers Odyssee sind ganz unterhaltsam, wenn man sie denn erkennt. Der Wissenschaftler jedoch ist mal wieder nur ein Archetyp, der zu Selbstversuchen neigt, das ist schon recht abgedroschen und war auch damals schon abgedroschen.
Die Geschichte mag sehr ausgefeilt sein und eine mehrschichtige Parabel sein und von mir aus auch ein Meisterwerk. Das Manuskript ging angeblich durch 3 Revisionen, die auch wissenschaftlich erforscht werden. Letztendlich jedoch, konnte die Geschichte mich weder begeistern noch fesseln. Sie ist gut gemacht, ich kann aber nicht verstehen, warum sie bei Gelehrten solche Begeisterung auslöst. Klar, man kann da viel Hineininterpretieren über unterdrückte Sehnsüchte und Verlangen, die sich irgendwann gewaltsam ihren Weg in die Psyche bahnen, über drogeninduzierte Persönlichkeitsspaltung (damals war Opiummissbrauch gesellschaftsfähig und Heroin ein Schmerzmittel für zahnende Kinder). Insgesamt sind die Charaktere aber klassische Archetypen, die ihre Rolle spielen, persönlichkeitsfrei wäre noch schmeichelnd. Die Sozialkritik an der viktorianischen Gesellschaft und ihren unterdrückten Gelüsten klingt zwar an, aber es fehlt ihr irgendwie der Biss. Das eigentlich geniale war wohl, dass Stevenson das Verwandlungsmotiv erfunden hat, das heute noch in den verschiedensten Formen durch die Medien geistert und sogar in Mangahelden wie Sailor Moon weiterbesteht.
In der Norton Edition gibt es einige hilfreiche Fußnoten für archaisch verwendete Vokabeln und ein paar nützliche Anmerkungen, damit man nachvollziehen kann, warum einige Gelehrte bei diesem Buch wohl in Verzückung geraten und sich seit Generationen daran abarbeiten. Bei mir ist kein Funke übergesprungen.