Tom Sawyer ist ein Waisenkind, das mit seinem Halbbruder Cid, bei seiner Tante Polly und deren Tochter Mary in einer kleinen, fiktiven Stadt in Missouri wohnt. Tom ist ein Lausbub, wie er im Buche steht und heckt allerlei Streiche aus, erlebt viele spannende Abenteuer und macht erste Erfahrungen in der Liebe.
Tom Sawyer ist ein klassischer Lausbubenroman, wenn auch ein frühes Exemplar dieser Gattung. Michel aus Lönneberga ist auch so ein Lausbub, der den meisten Lesern bekannt sein dürfte. Die Personen basieren laut Mark Twain auf echten Vorbildern und auch die Geschichten sollen so unterschiedlichen Jungen passiert sein. Das Buch ist ein Klassiker, keine Frage, aber warum? Warum spricht es über Generationen hinweg immer wieder die Kinder an, auch wenn die Welt schon lange nicht mehr so aussieht. Warum ist es All-Age Literatur und spricht Erwachsene genauso an, wie Kinder. Die Geschichte ist nicht sonderlich innovativ, eine Lausbubengeschichte eben. Die Erzählung hat Lücken und logische Fehler. So fragt man sich, woran Toms Eltern starben, warum Cid sein jüngerer Halbbruder (gleicher Vater, andere Mutter) ist und warum sie beide bei der Schwester der Mutter von Tom wohnen. Die Familie des Vaters wird nie erwähnt und auch Cids Mutter ist ein Mysterium. Toms Alter bleibt zunächst im Dunkeln, durch Band 2, die Abenteuer seines Freundes Huckleberry Finn jedoch, erfährt man, dass er bereits 13 Jahre alt ist. Dann jedoch ist es unlogisch, dass er in dem Alter noch vordere Milchzähne verliert.
Was also, macht dieses Buch so besonders, dass es zum Klassiker wurde und sowohl für Kinder, also auch für Erwachsene funktioniert? Ich denke, es ist die gelungene Kombination aus den klassischen Kinderträumen und Wünschen, die sich nie ändern, so sehr sich die Welt um sie herum auch ändern mag und die realistische Charakterisierung des Tom Sawyer. Kinder lesen und erleben vor allem die Abenteuer, die Tom erlebt und nach denen sie sich selber ebenfalls sehnen. Erwachsene sehen einen frühreifen Knirps, der die männlichen Verhaltensweisen überspitzt vorlebt und so durch den Kakao zieht. Es ist auch Mark Twains teils zynische, teils recht böse Erzählweise, die politisch unkorrekt und gerade darum so unterhaltsam ist, vielleicht auch weil besonders die Kirche immer wieder ihr Fett weg kriegt. Besonders, als Tom wegen Masern eine dieser Revival Shows verpasst und als er wieder gesund ist feststellt, dass sich die Stadt und die Bewohner dergestalt verändert haben, dass sie zu religiösen Zombies geworden sind, nur er ist als einziger normal geblieben und fühlt sich fremd.
Für amerikanische Leser war und ist es natürlich wunderbar, dass die Figuren ihre Sprache sprechen, kein britisch Englisch, nein amerikanischen Slang. Daher sollte dieses Buch vielleicht im Original nicht gerade von Englischanfängern gelesen werden, denn richtig Englisch lernen sie damit sicherlich nicht. Der Dialekt ist geschrieben, wie er gesprochen wird und man sollte schon wirklich gut Englisch können, um diese Passagen zu verstehen. Diese Dialekte sind in der Übersetzung so sicherlich nicht übersetzbar, da geht Lesern der Übersetzung wiederum viel verloren.
Fazit: Ich kann die Begeisterung, die viele mit diesem Buch verbinden nicht ganz teilen. Ich finde es gut, aber nicht wirklich überragend. Es ist unterhaltsam, es hat seine Höhepunkte und ich mag Twains bissige Ironie. Es ist eine Lausbubengeschichte wie viele andere und ein früher All-Age Roman. Gut, aber mehr auch nicht.