Rider Haggard kennt heutzutage wohl kaum noch jemand. Damals, in den späten 1980er Jahren, als ich die Bücher zum ersten Mal las, gab es gerade eine TB Gesamtausgabe der Werke. Heutzutage kennt man die nicht mal mehr als Anglistikstudent und er wird bei colonial literature eher als Fußnote behandelt. Am bekanntesten ist der Autor wohl für seine Allain Quartermain Bücher, wenn auch die meisten, die den Namen schon mal gehört habe, wohl nur an die teilweise echt schlechten Filme denken.
She ist ein interessanter Roman, weil er von vielen Literaturgenren als grundlegender Roman oder zumindest als Teil des Genrekanons angesehen wird: Fantasy, Science fiction, Adventure romance oder Imperial Gothic. Ich lese das Buch als Fantasy/Sci-Fi habe es aber für meine Prüfung bequemerweise als Imperial Gothic definiert, um meine victorian Literature Liste so ebenfalls mit Sci-Fi durch die Hintertür zu befüllen.
Also, worum geht es in diesem Klassiker. Horace Holly arbeitet als Professor in Camebridge. Er ist ein überzeugter Single und damit auch sehr glücklich. Da er nicht so wirklich der Hingucker ist, stehen Frauen nicht auf ihn und er findet Wissenschaft wohl auch spannender als Frauen, ein klassischer Nerd eben. Eines Nachts bekommt er Besuch von seinem einzigen Freund Vincey. Vincey ist der gutaussehende Typ, der glücklich verheiratet war und einen Sohn hat. Leider ist Vincey an TBC erkrankt und hat nur noch wenige Tage/Woche zu leben. Er bittet daher seinen einzigen Freund (die beiden haben sich echt gesucht und gefunden, zwei Außenseiter) die Vormundschaft für seinen kleinen Sohn Leo (der Löwe, blond, gutaussehend, späterer Frauenschwarm) zu übernehmen. Holly willigt ein, er will den Kranken beruhigen, er glaubt/hofft, dass es so schnell nicht dazu kommen wird und ist kurz darauf frischgebackener Vater. Leo hat von seinem Vater eine Kiste geerbt, die er erst an seinem 25 Geburtstag öffnen darf, dazu ordentlich Kohle und Holly hat strikte Anweisungen bezüglich der Ausbildung des Jungen bekommen: Keine normale Schule, private tutoring, Altgriechisch und Latein und dergleichen.
25 Jahre später ist der große Tag da, Vater und Sohn öffnen die Kiste, folgen den Anweisungen und stranden in Afrika. Dort werden sie gefangengenommen von einheimischen Farbigen, die natürlich von einer schönen weißen Frau beherrscht werden, die glaubt, dass Leo die Wiedergeburt ihres von ihr ermordeten Ex von vor 2000 Jahren ist (ja, Leo hat nach dieser Episode auch die Nase voll von Frauen, genau wie Holly. Sein gutes Aussehen hat ihm nur Ärger eingebracht).
Wie erwähnt, diverse Genre sehen diesen Text als einen der Grundpfeiler ihres Genres an:
Fantasy/Sci-Fi/scientific romance: Die Geschichte ist voller wundervoller (marvelous) Dinge, wie eine 2000 Jahre alte (und somit unsterbliche) Zauberin, die mit ihrem magischen Spiegel jeden Ort in ihrem Königreich beobachten kann. Das erinnert an die Gerüchte über das Project Looking Glas. Fortgeschrittene Mumifizierungstechnologie, die Tote auch nach 2000 Jahren so lebendig aussehen lässt, dass manche sich in Leichen verliebt haben. Beschrieben wird eine Welt, die unserer, bis auf ein paar magische “Kleinigkeiten” sehr, sehr ähnlich ist (wie Lord of the Rings). Dazu noch ein wenig “Lost World”, was erst mit Doyle 1912 so richtig als Genre durchstartet.
Adventure Romance: Holly und Leo sind klassische Abenteurer, die nach Afrika reisen um entweder Großwild zu jagen und Abenteuer zu leben oder halt auch das Rätsel zu lösen. Natürlich hat man auch farbige/einheimische Diener, die die Drecksarbeit erledigen. Sie werden in den Ruinen dieser alten Zivilisation schon fast zu Indiana Jones artigen Archäologen, die Wandmalereien zu entziffern versuchen, und alte Technologien zu verstehen versuchen.
Imperial Gothic: die üblichen Gothic Zutaten: Übernatürliches, Geheimgänge, Schlösser (hier eine Stadt im Berg).
Hinzu kommt so ein wenig männliche Angst vor starken Frauen, die über sie herrschen könnten (wie Queen Victoria) und die damit die Welt und Konventionen auf den Kopf stellen könnten oder die Männer entmachten und kastrieren könnten. Man kann sich durchaus vorstellen, wie sich einige viktorianische Männer für Prinz Albert fremdgeschämt haben. Mittlerweile hat man sich wohl selbst in UK daran gewöhnt, das hat da mittlerweile Tradition.
In diesem Buch wird bereits mit Entfremdung gearbeitet, indem bekanntes einfach ins Gegenteil verkehrt wird, um zum Nachdenken anzuregen oder einen irritierenden Effekt zu erreichen, und zu zeigen, was passiert, wenn man Konventionen ins Gegenteil verkehrt:
Hier herrscht eine Frau über Männer (man geht nicht so weit eine schwarze Frau über weiße Männer herrschen zu lassen, hier herrscht immer noch Weiß über Schwarz).
Die Frau wird als Gott angebetet und ist unsterblich, sie hat von der christlichen Religion noch nie gehört.
Frauen wählen spontan Männer, die ihnen gefallen als Ehemann, der Mann hat recht wenig dazu zu sagen (scheint damit aber konsequenterweise auch nicht unglücklich zu sein und er hält seiner Frau auch die Treue). Ich rede da mal aus Erfahrung. AM Anfang wehren sie sich ein wenig, dann fügen sie sich glücklich und zufrieden in ihre Schicksal.
Für Gäste wird zwar ein Bankett gegeben, aber es wird nicht für die Gäste gekocht, sie landen teilweise selber im Topf.
Das Verkehren von vielen Konventionen in ihr Gegenteil ist ein alter, bekannter Trick und recht offensichtlich, aber ganz unterhaltsam. Die Geschichte ist ebenfalls auch heute noch unterhaltsam zu lesen, wenn man darüber hinwegsehen kann, dass die Weißen als bessere Rasse angesehen wird und ein Untergang der Zivilisation auch mit Hautfarbe einhergeht. Ayesha ist und bleibt weiß, ihr Volk dunkelt über die Jahrhunderte nach.