Francis Bacon - New Atlantis (1627)
Dystopie, Utopie oder die Geschichte des ersten literarischen Whistleblowers?
Dieser Text ist eine alte Hausarbeit aus dem Kurs EPG2 - Ethik und Technik am Beispiel der Atomkraft aus dem Sommersemester 2015.
Ich dachte, wäre schade, wenn er auf meiner Festplatte verrottet.
Dieser Text soll auch zeigen, dass ich schon etwas länger Literaturanalyse betreibe und Ugurs Buch nicht mein erstes Opfer war. Ich betreibe die kritische Literaturanalyse schon ein paar Jährchen länger.
Es wurde ein Seminar mit SEHR heißer Diskussion, da meine Interpretation nicht gerade der erwarteten Analyse entsprach. Ich bin es also gewohnt, für meine Sichtweise auf literarische Werke auch in der Gruppe angegriffen zu werden.
Letztendlich bin ich selbst erstaunt, wie aktuell meine Hausarbeit 9 Jahre später noch ist.
Inhaltsverzeichnis
2 Die Gesellschaftlichen Strukturen von New Atlantis
4 Utopie oder doch eher Dystopie?
1 Einleitung
Häufig gilt Francis Bacons Fragment “New Atlantis” als Gesellschafts- oder Wissenschaftsutopie, als „weitsichtige Vision über die technischen Entwicklungsmöglichkeiten in allen möglichen Bereichen bis hin zur Perfektibilisierungsstrategien für Pflanzen, Tier und Menschen […]“ (Engel 28). Engel zählt Bacon sogar zu den „menschenfreundlichen Weltverbesserern“ (29). Saage bescheinigt Bacon „fundamentaler Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten eines raschen naturwissenschaftlichen Fortschritts“ (58) und sieht das Werk als Vorläufer der Science Fiction (58). Viele sahen und sehen Bacon sogar als Pionier der modernen Wissenschaft und vergessen dabei vollkommen, dass sein Namensvetter Roger Bacon bereits im 13. Jahrhundert und Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert viele der in „New Atlantis“ beschriebenen empirischen Prinzipien vorweggenommen haben (Bacon and Gough xvi). Bacon sammelt und strukturiert nur bereits vorhandene Ideen und Prinzipien, er ist keinesfalls innovativ oder ein genialer Vordenker.
Historisch betrachtet, war „New Atlantis“ jedoch die Vorlage für das Invisible College und die Royal Society (Bacon and Gough xlii).
Schon früh kam jedoch bereits Kritik auf an Bacons Methodologie. „His method is almost purely mechanical. […] It is not thus that great discoveries have been made. Bacon, […] fails to recognize the vital part which that faculty [imagination] plays in scientific research. (Bacon and Gough xvii). Des Weiteren kritisierte man die “predominantly utilitarian nature” (Bacon and Gough xxxv) und “The aim of Baconian philosophy was to supply our vulgar wants” (Bacon and Gough xxxvii). Bacons Utopie ist also keine Utopie im eigentlichen Sinne, sondern eine Beschreibung von Methoden, um materielle Bedürfnisse, ohne Rücksicht auf Verluste, zu befriedigen. Aus heutiger Sicht ist das nicht utopisch, sondern zerstörerisch und somit dystopisch oder einfach nur utilitaristisch.
Es mag sein, dass man Bacons Fragment jahrzehntelang als Utopie gelesen hat und das Bacon „New Atlantis“ tatsächlich als eine Utopie konzipiert hatte und selber als eine Utopie sah. Dem kann ich nach der Lektüre leider nicht zustimmen. Ich tendiere zur dystopischen Lesart des Textes, denn die Lesart eines Textes ändert sich mit der Welt in welcher der Leser lebt und den Erfahrungen, die ein Leser im Laufe seines Lebens macht und spiegelt somit nicht zwangsweise die Intentionen des Autors wieder. Das ist eine Erfahrung die der Autor Ray Bradbury noch zu seinen Lebzeiten machen musste, als Studenten der UCLA ihn darüber aufklärten, dass sein Buch „Fahrenheit 451“ von staatlicher Zensur handelt und ihn damit so erbosten, dass er den Hörsaal verließ.
He [Ray Bradbury] bristles when others tell him what his stories mean, and once walked out of a class at UCLA where students insisted his book [Fahrenheit 451] was about government censorship. He’s now bucking the widespread conventional wisdom with a video clip on his Web site. (Johnston)
Bradbury verbreitete damals daraufhin auf seiner Webseite seine Sichtweise über die korrekte Interpretation (Bradbury), während an Schulen weiterhin die Interpretation der staatlichen Zensur in „Fahrenheit 451“ gelehrt oder zumindest als Interpretation akzeptiert wird. Ein Autor kann nicht darüber bestimmen, wie sein Buch gelesen wird, Texte entwickeln ein Eigenleben und wirken im Leser auf ihre eigene Weise. Jeder Leser erschafft sich seine eigene Realität, beim Lesen eines Textes. Wie diese Realität aussieht, bestimmen weder der Autor noch andere „kluge Köpfe“, die Sekundärtexte verfassen und wiederum ihre Sichtweise verbreiten wollen.
Dinge, die einmal als positiv galten, können mit neuen Erfahrungen als gefährlich erkannt werden, aus Utopien werden Dystopien und aus Träumen Albträume. Schon Saage erkennt 1998, dass es sich beim Hause Salomons um verstaatlichte() Wissenschaft […] als Herrschaftsinstrument par excellence (62) handelt. Er konnte aber noch nicht erahnen, was das in einer Welt bedeutet, in der die Staaten die Macht nicht zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen, sondern zur Kontrolle, Überwachung und Maßregelung der eigenen Bevölkerung und zur Unterwerfung ganzer Staaten.
In einer Zeit nach den Snowden Enthüllungen liest sich Bacons „New Atlantis“ wie eine Anleitung zur Etablierung der NSA, eines Staates im Staat, der Industriespionage betreibt, Wissen hinter verschlossenen Türen zum eigenen Nutzen erforscht, verwaltet und dem Staat einige wenige nützliche Informationen weiterleitet, während die normale Bevölkerung die Insel nicht verlassen darf. Eine dystopische Version der Welt in der wir leben. Mit dem Wissen um die NSA Enthüllungen im Hinterkopf, liest sich Bacons „New Atlantis“ wie ein Hilferuf eines Wistleblowers diese Informationen zu veröffentlichen, um Bensalem zu helfen. Diesem Gedanken will ich im folgenden Essay nachgehen.
2 Die Gesellschaftlichen Strukturen von New Atlantis
Auf den ersten Blick scheint die Gesellschaft von Betsalem streng patriarchalisch organisiert mit der (Groß-)Familie als kleinster Verwaltungseinheit. Der Staat scheint der Kontrolle eines Königs zu unterstehen (der jedoch nie in Erscheinung tritt), und seinen unbestechlichen Beamten. Diese Beamten kontrollieren wiederum die Bewohner der Insel.
Das männliche Oberhaupt einer Großfamilie mit mehr als 30 lebenden Nachkommen wird Tirsan genannt. Dieser Tirsan hat das Recht oder die Aufgabe, ganz klar wird das nicht, über das Leben aller Familienmitglieder Recht zu sprechen. Die Kontrolle durch den Staat geht bei diesen Großfamilien so weit, dass bei Rechtsprechungen im Kreise einer solchen Großfamilie ein Staatsbediensteter anwesend ist und diese Rechtsprechung kontrolliert und protokolliert. „The governor assisteth, to the end to put in execution by his public authority the decrees and orders of the Tirsan, if they should be disobeyed;[…]” (Bacon).
Die Wirtschaftsform, die auf New Atlantis vorherrscht, scheint auf kapitalistischen Grundlagen zu basieren, zumindest scheint es Privateigentum zu geben, denn es ist möglich, zu verarmen und in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten „There, if any of the family be distressed or decayed, order is taken for their relief and competent means to live“ (Bacon). Auch, dass wer gegen den Willen der Eltern heiratet, teilweise enterbt wirbt, deutet auf eine kapitalistische Gesellschaftsform hin “for the children of such marriages are not admitted to inherit above a third part of their parents' inheritance” (Bacon).
Das Volk macht einen eher verschreckten, kontrollierten und reglementierten Eindruck. Als einer der Väter des Hauses Salomo in der Stadt Einzug hält, wird die Reaktion es Volkes wie folgt beschrieben: „there was never any army had their men stand in better battle-array than the people stood. The windows likewise were not crowded, but every one stood in them as if they had been placed“ (Bacon). Diese Szene macht deutlich wer wohl die Macht, die angsteinflößende, kontrollierende Macht in diesem Staate innehat: Die Väter des Hauses Salomon.
3 Das Haus Salomons
Was ist dieses Haus Salomons, das die Macht auf dieser Insel innezuhaben scheint? Ich gehe mit Saages Einschätzung konform, dass diese Institution „eine(n) Staat im Staate darstellt. Mit unbegrenzten Geldmitteln ausgestattet, ist sie selbst vom König unabhängig“ (Saage 65). Eine Institution, beherrscht von Naturwissenschaftlern, welche die Richtlinien der Politik der Insel bestimmen. Ich stimme jedoch nicht darin überein, dass diese das Herrschaftsmonopol innehaben, um „Reich und Volk zu beglücken“ (cf Saage 65).
Der Vater des Hauses Salomons, der unserem Reisenden eine Audienz unter vier Augen gestattet, bleibt anonym. Schon das macht den Leser misstrauisch, denn was wäre so schlimm daran, mit mehreren der Seeleute gleichzeitig zu sprechen, warum nur eine einzige Person? Dieser Wissenschaftler, oder Vater des Hauses Salomon, beschreibt in dieser Audienz die Aufgaben und Ziele seiner Institution wie folgt: „The end of our foundation is the knowledge of causes, and secret motions of things; and the enlarging of the bounds of human empire, to the effecting of all things possible” (Bacon).
„All things possible“ klingt auf den ersten Blick nicht so schlimm, wenn man jedoch die einleitenden Worte dieses Gesprächs bedenkt, ahnt man schon, dass es im Hause Salomons nicht zum Besten bestellt ist: „Son, to make you know the true state of Salomon's House.“ (Bacon). Dieser ungute Eindruck verstärkt sich, als der Vater des Hauses Salomon beginnt aufzuzählen, welchen Forschungsprojekten man in dieser Einrichtung nachgeht. Zwischen harmloser Grundlagenforschung und Beschreibungen von Infrastruktur verbergen sich Versuche wie aus Frankensteins Gruselkabinett:
"We have great lakes […]. We use them also for burials of some natural bodies: for we find a difference in things buried in earth or in air below the earth, and things buried in water.” (Bacon)
“[…] parks and enclosures of all sorts of beasts and birds which we use not only for view or rareness, but likewise for dissections and trials; that thereby we may take light what may be wrought upon the body of man. […] We try also all poisons and other medicines upon them, as well of chirurgery, as physic.“ (Bacon)
“[…] likewise new mixtures and compositions of gun-powder, wild-fires burning in water, and unquenchable […].(Bacon)
“We have ships and boats for going under water, […] (Bacon)
Im Hause Salomon werden also Experimente über die Verwesungsvorgänge von Wasserleichen durchgeführt (woher kommen die dazu benötigten Körper?), Tiere seziert und vergiftet (Wozu braucht man in einer friedlichen Gesellschaft diese Gifte?) und man experimentiert mit Sprengstoffen und griechischen Feuer. Waffenforschung als Grundlagenforschung getarnt? Wozu braucht ein abgeschotteter, angeblich friedlicher Staat diese Dinge? Wozu U-Boote, wenn man doch problemlos mit normalen Schiffen unter falscher Flagge reisen kann?
Besonders unangenehm fällt auf, dass diese Institution “houses of deceits of the senses” besitzt, gleichzeitig aber behauptet
“But we do hate all impostures, and lies; insomuch as we have severely forbidden it to all our fellows, under pain of ignominy and fines, that they do not show any natural work or thing, adorned or swelling; but only pure as it is, and without all affectation of strangeness.” (Bacon)
Andere dürften also nicht mit Illusionen und Tricks arbeiten. Täuschungen und Lügen sind unter Strafe verboten, aber das Haus Salomon unterhält “houses of deceits of the senses”. Da wird gewaltig mit zweierlei Maß gemessen und somit wird hier sehr deutlich, wer in diesem Staat das Sagen hat und die Regeln macht. Selbst bei Entdeckungen, die der Bevölkerung nutzen könnten wie das „Water of Paradise“, welches das Leben verlängert, wird nicht klar, wer überhaupt in den Genuss dieser Mittel kommt.
In dieser abgeschotteten Gesellschaft dürfen nur wenige Menschen die Insel überhaupt verlassen und diese Menschen sind alle Mitglieder des Hauses Salomons. Nicht einmal der König scheint die Insel verlassen zu dürfen. Die Einzigen, die zu Industriespionagezwecken die Insel verlassen dürfen sind die 3 Depredators (“collect the experiments which are in all books”) und die 3 Mystery-men (“collect the experiments of all mechanical arts; and also of liberal sciences; and also of practices which are not brought into arts.”). Diese segeln unter falscher Flagge in fremde Länder und werden euphemistisch die „Merchants of Light“ genannt.
"For the several employments and offices of our fellows; we have twelve that sail into foreign countries, under the names of other nations, (for our own we conceal); who bring us the books, and abstracts, and patterns of experiments of all other parts. These we call Merchants of Light” (Bacon).
Wieder auf der Insel angekommen, übernehmen die Pioneers or Miners die erworbenen Datensätze und „try new experiments, such as themselves think good” (Bacon). 3 Compilers werten die Daten der Betatests der Pioneers und Miners aus und “draw the experiments of the former four into titles and tables, to give the better light for the drawing of observations and axioms out of them” (Bacon).
Die Dowry-men oder Benefactors entscheiden dann anhand der Daten der Compilers “how to draw out of them things of use and practise for man's life, and knowledge, as well for works as for plain demonstration of causes, means of natural divinations, and the easy and clear discovery of the virtues and parts of bodies” (Bacon).
Es handelt sich hier also um einen extrem arbeitseiligen Vorgang, bei dem keiner der Beteiligten das ganze Bild kennt und immer nur bereits zensierte Daten der vorherigen Gruppe erhält. Der Spion sammelt Informationen, die nächsten prüfen diese auf ihre Richtigkeit, die nächsten sortieren die Ergebnisse, Zensoren suchen heraus, was sie für nützlich handeln und keiner kennt mehr den wirklichen Zusammenhang.
Danach kommen die obligatorischen Meetings, der sogenannten Lamps, die Licht in die bereits bereinigte, zensierte bzw. verstümmelte, Datensammlung bringen sollen.
"Then after divers meetings and consults of our whole number, to consider of the former labours and collections, we have three that take care, out of them, to direct new experiments, of a higher light, more penetrating into nature than the former“ (Bacon).
Weitere drei, sogenannte Inovulators machen dann erneute Betatests, wohl um zu prüfen, ob die compilierten Daten überhaupt noch brauchbar sind, den eigentlich waren die Experimente bereits von den Compilern getestet. “We have three others that do execute the experiments so directed, and report them.” Erst danach kommen die Interpreters of Nature an die Reihe, die aus den Experimenten “greater observations, axioms, and aphorisms“ ableiten.
Aus moderner Wissenschaftlicher Sicht ist diese Arbeitsteilung mehr als kontraproduktiv und macht den Eindruck, dass die rechte Hand nicht weiß, was die Linke tut.
Die arbeitsteilige Vorgehensweise im Hause Salomons, in der keiner der Wissenschaftler und Mitarbeiter vollen Überblick hat, führt des Weiteren zu einer gefährlichen Verantwortungsdiffusion, denn „wenn er also das Ziel nicht weiß, nicht zu wissen braucht oder nicht wissen soll, dann braucht er offensichtlich auch kein Gewissen zu haben.“ (Anders 289) und kann zudem auch nichts verraten.
Auch das erinnert stark an die Vorgehensweise von modernen Geheimdiensten, bei denen kein Mitarbeiter das ganze Bild kennt und somit auch nichts verraten kann. Bei der NSA ging es letztendlich so weit, dass selbst die Mitarbeiter der NSA, deren Abkürzung damals unter Politikern „No such Agency“ bedeutete, auf Daten aus James Bamfords "The Puzzle Palace“ zurückgreifen mussten, um sich in ihrer eigenen Organisation zurechtzufinden (Leitner).
Das ist auch im Hause Salomon‘s mit Sicherheit ebenfalls tatsächlich so gewollt, denn
„we have consultations, which of the inventions and experiences which we have discovered shall be published, and which not: and take all an oath of secrecy, for the concealing of those which we think fit to keep secret: though some of those we do reveal sometimes to the state and some not.”
Nun stellt sich die Frage, wie kann man, nachdem die Informationen derartig zerstückelt wurden noch wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus ihnen schließen? Wer entscheidet wiederum, was publiziert wird und was passiert mit den Geheimnissen? Wozu werden sie eingesetzt, wenn nur wenige dem Staat enthüllt werden?
Gisela Engel merkt zu diesem Gremium zu Recht an “Ein Gremium, dessen Besetzung und Legitimation nicht deutlich werden, entscheidet über Publizität oder Geheimhaltung der Forschungsergebnisse” (Engel 34). Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun und was passiert, wenn so ein solches, geheimes Gremium über die Zukunft von Menschen oder Staaten entscheidet, konnte man im Juli 2015 live erleben, denn derzeitig gibt es in Europa ein solches geheimes, nicht demokratisch legitimiertes Gremium namens Eurogroup.
“Well, the Eurogroup does not exist in law, there is no treaty which has convened this group. […] So what we have is a non-existent group that has the greatest power to determine the lives of Europeans. It’s not answerable to anyone, given it doesn’t exist in law; no minutes are kept; and it’s confidential. So no citizen ever knows what is said within. … These are decisions of almost life and death, and no member has to answer to anybody.” (Lambert)
„Wir haben ihre Macht unterschätzt. Es ist eine Macht, die die soziale Struktur durchdringt, die Art, wie Menschen denken. Sie kontrolliert und erpresst. Wir haben sehr wenige Hebel. Das europäische Gebäude ist schon längst kafkaesk.“ (Fhauschild)
Ein solches geheimes, nicht existierendes Gremium aus wenigen gewissenlosen Mitgliedern, seien es Politikern, Wirtschaftsvertreter, Bank(st)er oder Wissenschaftlern kann selbst, oder vielleicht vor allem, heutzutage ganze souveräne Staaten in die Knie zwingen und Völker auf Jahre unterjochen. Das ist kein wissenschaftliches Ideal, das Objektivität sicherstellt, das ist ein Machtinstrument für Eliten, um knallhart die Interessen des Stärksten mit Gewalt durchzusetzen, und Bittsteller oder Kritiker am langen Arm verhungern zu lassen. So ein Gremium kann oder darf somit auch in der Philosophie oder in der Ethik nicht als weises Ideal gelten, denn die Realität beweist, dass ein solches Gremium nicht zum Besten der normalen Menschen und der Mehrheit arbeitet, sondern sehr schnell von Machtinteressen korrumpiert wird und dann nur noch zum Erhalt dieser Interessen missbraucht wird. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort „Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut“. Dementsprechend kann man ein solches Gremium, wie jenes des Hauses Salomons oder die Eurogroup nur als „vollkommen undemokratisch und kafkaesk“ (Fhauschild) beschreiben.
Ein Peer review ist durchaus sinnvoll und “We do publish such new profitable inventions as we think good” (Bacon) ist durchaus löblich. Wo jedoch endet Qualitätskontrolle und wo beginnt Zensur und wie werden diese Daten organisationsintern verwendet?
Bacon lebte in einer Zeit, in der es als vollkommen normal galt, dass der Herrscher das Recht hatte, Wissen zu zensieren. Geboren 1561 kannte er es wahrscheinlich gar nicht mehr anders, denn Mary I (Bloody Mary) ist die Erfinderin des „copyrights“ zum Zwecke der Zensur.
“She [Mary I] devised a monopoly where the London printing guild would get a complete monopoly on all printing in England, in exchange for her censors determining what was fit to print beforehand.”
Dieses “copyright” wurde der “Worshipful Company of Stationers and Newspaper Makers” am 4. Mai 1557 verliehen. Anfang des 17. Jahrhundert versuchte das Parlament die Kontrolle über die Zensur von Schriftmaterialien zu übernehmen, aber 1643 ging dieses Recht wieder vollständig an die Krone über.
“During the 1600s, Parliament gradually tried to wrestle control of the censorship from the Crown. […] In 1643, the copyright censorship monopoly was reinstituted with a vengeance. It included demands for pre-registrations of author, printer and publisher with the London Company of Stationers, a requirement for publication license before publishing anything, the right for the Stationers to impound, burn and destroy unlicensed equipment and books, and arrests and harsh punishments for anybody violating the copyright censorship.” (Rick Falkvinge)
Warum sollte Bacon ein solches gottgegebenes Recht in einer utopischen Welt wie New Atlantis in Zweifel ziehen? Man kann somit annehmen, dass Zensur bzw. Selbstzensur durch die Arbeitsweise des Gremium durchaus beabsichtigt und gewollt ist, um die öffentliche Ruhe sicherzustellen oder einfach, weil es das Recht des Herrschers ist zu zensieren, und Dinge geheim zu halten. Dies ist ein weiterer möglicher Hinweis darauf, dass der Herrscher der Insel das Haus Salomons ist, da es auch die Kontrolle über das Copyright hat, so wie die Krone Englands.
Andererseits wäre natürlich auch möglich anzunehmen, dass Bacon in “New Atlantis”, das 1627 erschien und in den Jahren geschrieben wurde, als das Parlament teilweise die Kontrolle über das Copyright hatte, eine Position der Selbstzensur durch Gremien in Zeiten, in denen die Zensur durch den König vorübergehend eingedämmt war, vertrat. Da Bacon von seiner Ausbildung her Anwalt war und lange im Dienste der Krone stand, ist eine solche Vermutung nicht ganz von der Hand zu weisen. Es kann jedoch auch sein, dass es sich hierbei um eine vorauseilende Selbstzensur Bacons handelt, damit das Buch gedruckt werden konnte, und nicht Opfer der Zensoren wurde.
Wie auch immer man es sehen mag, die Zensur im Hause Salomons ist auf die eine oder andere Weise absolut gewollt und „kein Bug sondern ein Feature“.
Den Gehorsam der Erfinder sichert man sich schlussendlich auf einfache und effektive Weise: Ruhm, Ehre und viel Geld: „very long and fair galleries […] For upon every invention of value, we erect a statue to the inventor, and give him a liberal and honourable reward” und das Alles zur Ehre Gottes "We have certain hymns and services, which we say daily, of Lord and thanks to God for his marvellous works[…].” (Bacon)
Nachdem man die Enthüllungen des Vaters des Hauses Salomons gehört hat und sich daran erinnert, wie er sie einleitete:
„Son, to make you know the true state of Salomon's House.“ Klingt „God bless thee, my son; and God bless this relation, which I have made. I give thee leave to publish it for the good of other nations; for we here are in God's bosom, a land unknown” (Bacon)
klingt das keineswegs mehr positiv sondern nach einem verzweifelten Aufruf, die Daten zu veröffentlichen, aber bitte ohne Nennung des Namens des Informanten.
Natürlich stellt sich die Frage, warum dieser Vater des Hauses Salmons überhaupt auf die Insel zurückgekehrt ist und nicht untergetaucht ist, möglicherweise, weil man seine Familie als Geisel hält, wie das auch heute noch moderne Staaten wie China handhaben. Chinesische Staatsbürger dürfen im Ausland studieren, jedoch müssen Frau und Kind meist im Heimatland verbleiben, um sicherzustellen, dass der Student nach Abschluss seines Studiums wieder in die Heimat zurückkehrt. Auf New Atlantis kann man das durchaus ähnlich gehandhabt haben.
4 Utopie oder doch eher Dystopie?
Bacon schrieb in einem Brief an seinen Onkel Burghley: “I hope I should bring in industrious observations, grounded conclusions, and profitable inventions and discoveries; the best state of that province” (Bacon and Gough ix). Bacon glaubte also an die positive Vision seiner Utopie. Er wollte die beste Gesellschaft schaffen und schuf doch nur eine weitere Version eines autokratischen Staates, nur dass diesmal eine andere Elite herrscht, sich dabei aber der alten Machtmittel bedient. Saage sieht das ganz ähnlich
„daß er [Bacon] Wissenschaft und Technik zum eigentlichen Kern des utopischen Gemeinwesens erhebt. Im Grunde genommen sind es nicht mehr die vorbildlichen Gesetze, sondern das Herrschaftswissen einer kleinen Elite von Naturwissenschaftlern, von denen Bacons Vision eines »besten Staates« lebt” (Saage 65).
Diese Lesart von “New Atlantis” scheint insgesamt recht verbreitet zu sein wie Price anmerkt “Critics have tended to regard the secret expeditions as highly exploitative, and as an example of ruthless political control allegedly concealed beneath Bensalem’s apparent perfection” (Price 64).
Auch wenn Bacon vielleicht eine Utopie schaffen wollte, so war diese dystopische Leseart bereits in Bacons radikalen Ansichten über Wissenschaft vorprogrammiert.
“Already in his youth he had seen the vision of humanity purged from error, from superstition, dogmatism, and false views of the world, delivered from the helplessness and suffering that ignorance brings, gifted with unimagined power over nature; he heralded, in his own words, the coming of the Kingdom of Man” (Bacon and Gough x).
Wissenschaft ist nicht per se rein und unschuldig, wie auch viele heutige Forscher immer noch glauben. Jede Erfindung hat Konsequenzen, über die man nachdenken sollte, bevor man sich an die Erforschung eines Phänomens macht, auch wenn die Grenzen schwer zu erkennen sind, und oft erst im Nachhinein klar wird, dass man Grenzen überschritten hat, die man nie hätte überschreiten sollen. Die Strukturen, die diese Forschungseinrichtungen kontrollieren und über die Anwendung der Ergebnisse wachen, müssen gut durchdacht und transparent sein, sonst ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Geheimhaltung ist somit genau der falsche Weg, denn ein Problem, das alle angeht kann nicht von einer kleinen Elite gelöst werden. Wissenschaftler sind nicht verantwortungsvoller oder ethischer veranlagt als Politiker, Priester oder normale Menschen, denn auch sie sind nur Menschen, mit allen menschlichen und moralischen Schwächen, die das Menschsein mit sich bringt.
Das schließt nicht aus, dass auch die Mehrheit sich irrt und es nicht nur Herdenintelligenz sondern auch Herdendummheit gibt, die gefährliche Entscheidungen trifft. In diesem Fall haben aber immerhin diejenigen, die das Problem betrifft, eine Chance gehabt, an der Lösung des Problems mitzuwirken, und müssen nicht nur mit den Konsequenzen leben, sondern tragen auch einen Teil der moralischen Verantwortung.
In Bacons „New Atlantis“ ist die Vorgehensweise des Hauses Salomon so falsch, gefährlich und kontraproduktiv, dass es schlimmer fast gar nicht mehr geht. Somit kann dieses Buch keine Utopie sein sondern ist als Dystopie zu sehen.
5 Verwendete Literatur
Anders, Günther. Die Antiquiertheit Des Menschen Band 1. C. H. Beck, 2002. Print.
Bacon, Francis. “The Project Gutenberg E-Text of The New Atlantis.” N.p., 2008. Web. 24 May 2015.
Bacon, Francis, and Alfred B. Gough. New Atlantis. London, Edinburgh, Glasgow: Oxford University Press, 1924. Print.
Bradbury, Ray. “Ray Bradbury | Books.” At home with Ray - Bradbury on Censorship/Television. N.p., n.d. Web. 25 July 2015.
Engel, Gisela. “Zum Verhältnis von Utopie Und Wissenschaft in Francis Bacons Frühen Fragmenten.” Biofakte. Versuch Über Den Menschen Zwischen Artefakt Und Lebewesen. Ed. Nicole C.Karafyllis. Paderborn: Mentis, 2003. 27–40. Print.
Fhauschild. “Weiterer Griechischer Verhandlungs-Insider Packt Aus: „Fast so Etwas Wie Eine Neofaschistische Eurodiktatur“ | RT Deutsch.” N.p., 2015. Web. 26 July 2015.
Johnston, Amy E. Boyle. “Ray Bradbury: Fahrenheit 451 Misinterpreted | L.A. Weekly.” N.p., 2007. Web. 26 May 2015.
Lambert, Harry. “Yanis Varoufakis Full Transcript: Our Battle to Save Greece.” N.p., 2015. Web. 15 July 2015.
Leitner, Felix von. “Alternativlos 30 - Abhörtechniken von Geheimdiensten, Kryptographie Und Die Crypto Wars.” N.p., 2013. Web. 26 May 2015.
Price, Bronwen [Hrsg.]. “Francis Bacon’s New Atlantis : New Interdisciplinary Essays.” 2002: n. pag. Print.
Rick Falkvinge. “History of Copyright, Part 2: Bloody Mary - Falkvinge on Infopolicy.” N.p., 2011. Web. 15 July 2015.
Saage, Richard. “Bacons „Neu-Atlantis“ Und Die Klassische Utopietradition.” UTOPIE kreativ 93 (1998): 57–69. Web. 25 May 2015.
Hallo!
Bitte mal James Tour zu Origin of Life anschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=63okeSJwiyk&ab_channel=Dr.JamesTour
Meiner unmaßgeblichen Meinung nach haben wir in den letzten Jahren oder Jahrzehnten erlebt, wie die Wissenschaft so ziemlich jedes Versprechen nicht eingelöst hat, das großspurig gegeben wurde.
Die Energie ist nicht billig oder gar frei, nicht sauber und sicher nicht nachhaltig.
Die Medizin hat keine relevanten Gesundheitsprobleme mehr gelöst und kann keine Krankheiten erklären.
Die angeblich alles erklärende Genetik ist ein Luftschloss, das errichtet wurde, damit Konzerne alles patentieren können. Erwin Chargaff hat in "Das Feuer des Heraklit" beschrieben, was auf dem Spiel steht.
Man kann nicht einmal einen verstorbenen Hamster klonen.
Weston Price hat in "Nutrition and Physical Degeneration" vor 100 Jahren auf der ganzen Welt noch Menschen beschrieben, die weder Zahnverfall noch sonstige Zivilisationskrankheiten (Karies, Diabetes, Krebs, MS, Rheuma) hatten, gesunde Menschen also!
Die Krebstherapien sind angeblich irgendwo im Rockefeller Center unter Verschluss.
Vom Impfen und den großartigen Errungenschaften der Virologie ganz zu schweigen, kann man weder Rheuma noch einen Schnupfen heilen.
Man kann sagen, vom Urknall über die Ursuppe bis zur Weltformel, fast alles, was massiv propagiert wird, ist Humbug, unbewiesen bzw. nicht falsifizierbar.
Unbestreitbar sind die Ingenieursleistungen sowie Bach, Beethoven, Wayne Shorter und die Sixtinische Kapelle, aber bei der Wissenschaft sollte man langsam wirklich mal ein wenig besser aufpassen.