Sylvia’s Lovers erzählt eine klassische Dreiecksgeschichte:
Hester liebt Philipp
Philipp liebt Sylvia
Sylvia lieb Kinraid
Sylvia Robson ist 16, hübsch, naiv und lernunwillig. Selbst schreiben und lesen strengt sie an. Sie ist das, was man heute wohl funktionellen Analphabeten nennt. Sylvias Cousin Philipp hat eine Engelsgeduld mit ihr und will ihr zumindest ein wenig Bildung zuteilwerden lassen, wenn auch aus egoistischen Gründen. Philipp liebt Sylvia und will mit ihr Zeit verbringen und er ist selber als Shopassistant recht gebildet. Hester, die als weiblicher Shopassistant viel besser zu ihm passen würde, und ihn aus ganzem Herzen liebt, behandelt Philipp wie eine Schwester und lässt sie Liebesdienste für Sylvia erledigen. Leider liebt Sylvia den good for nothing Walfänger Kinraid, der reihenweise Herzen bricht und dem alle Frauen hinterherlaufen. Sylvia jedoch ist so schön, dass Kinraid beschließt, dass er sie heiraten wird. Das ist kein Entschluss aus Liebe, ob Kinraid überhaupt lieben kann wird nie klar, er will sie besitzen und erobern. Weniger um ihrer selbst willen, sondern als Kleinod, um seinen eigenen gesellschaftlichen Wert zu steigern. Die zwei begehrtesten jungen Leute in Monkshaven sind halt das perfekte Paar.
Kinraid verlobt sich heimlich mit Sylvia. Nur ihr Vater weiß von der Verlobung, nicht einmal die Mutter weiß es. Philipp, der Sylvia von ganzem Herzen liebt, hat keine Chance gegen den womanizer Kinraid. Man kann es ihm damit nicht verdenken, als er beobachtet, wie Kinraid von einer Pressgang entführt wird, nicht eingreift und Sylvia auch nicht erzählt, was passiert ist. Die Chancen, dass Kinraid zurückkommt, sind eher gering. Nun ist der Weg frei für Philipp.
Sylvia’s Lovers ist ein historischer Roman. Die Handlung beginnt im Oktober 1796. Der Roman war somit schon ein historischer Roman, als er 1863 erschien. Gaskell führte historische Untersuchungen durch und stellte sicher, dass die Darstellung der Ereignisse historisch korrekt war. Walter Scott war ihr darin wohl ein Vorbild. Sie sichtete, auch mit Hilfe ihres Mannes, Originalmaterial aus der Zeit, in der die Geschichte spielt und einige der Handlungsstränge basieren auf tatsächlichen Begebenheiten. Monkshaven an sich ist fiktional und wird von Gaskell auch als Name eines der Söhne von Lady Ludlow in „My Lady Ludlow“ verwendet, der wiederum nach dem Haven Monkshaven benannt wurde. Dennoch basiert die Stadt auf einem RL Vorbild: Whitby.
In diesem Buch findet man einige Motive, die in Gaskells Geschichten immer wieder auftauchen:
1. Der Einfluss der Umgebung/Landschaft auf eine Gemeinschaft
2. Der Marine Hintergrund (einige von Gaskells Verwandten waren bei der Marine)
3. Beziehungen, die durch das Leben als Seemann zerbrechen (siehe a Manchester Marriage).
4. Die Veränderungen, die die Industrialisierung mit sich bringt, wie die veränderte Rollenverteilung von Mann und Frau.
Anders jedoch, als bei vielen historischen Romanen, spielen die historischen Ereignisse (Napoleonischer Krieg) nur als historischer Hintergrund eine Rolle. Sie beeinflussen das Leben der männlichen Protagonisten, die entweder durch die Press Gangs in den Kriegsdienst gezwungen werden, oder sich aus Verzweiflung selber melden. Die Frauen jedoch leben fernab jeglichen historischer Ereignisse, sie interessieren sich nicht für diese, leiden aber dennoch unter den Folgen.
Die wirkliche Stärke dieses Romans ist die Charakterisierung der Beziehungen unter den Figuren. Sylvia ist jung, naiv und fällt natürlich auf den womanizer rein. Jeder Teenager wählt den coolen Jungen und nie den sensiblen, klugen Jungen, der wirklich liebt. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Philipp hingegen ist blind gegenüber Hesters Liebe zu ihm. Das tägliche Drama, wie es uns auch heute täglich begegnet: Einer liebt immer mehr als der andere und manche sind es einfach nicht wert, dass man ihnen eine Träne nachweint, aber meist erkennt man das zu spät. Zum Schluss sind mindestens 1-2 Personen unglücklich, meist alle 3.
Die Entwicklung der Beziehungen ist logisch und nachvollziehbar. Genau wie in „The Half Brothers“ entscheidet sich Sylvia aufgrund ökonomischer Gründe für eine Ehe mit einem Mann, der sie abgöttisch liebt, den sie aber nicht liebt. Das Einzige, was sie mit dieser Beziehung aussöhnt ist ihre Tochter “'I'm glad enough I've getten a baby,' said Sylvia, 'but for aught else I wish I'd niver been married, I do!'" Das ist eine sehr direkte Aussage für eine Figur in einem victorianischen Roman.
Kinraid ist möglicherweise die interessanteste Figur des Romans. Er wird sehr unterschiedlich gesehen. Einige Autoren spielen den Apologeten und behaupten, er hätte Sylvia wirklich geliebt, alles wäre gut geworden, wenn Philipp gesagt hätte, dass er entführt wurde. Kinraids ganzes Verhalten jedoch spricht meiner Meinung nach gegen diese Annahme. Sylvia liebt ihn wirklich, er jedoch will nur ein Juwel an seiner Seite, das ihn heller strahlen lässt. Frauen, die selber Erfahrungen mit dieser Art Mann gemacht haben, werden ihn aber sicherlich zynischer und negativer wahrnehmen, als männliche Literaturwissenschaftler, die zum Entschuldigen von Kinraids verhalten neigen.
Ein unterhaltsamer historischer Roman, der durch die Charakterisierung der Dreiecksbeziehung punktet. Der Dialekt, in dem der Roman verfasst ist, ist jedoch anstrengend zu lesen, trägt aber zur Atmosphäre bei.