Galiläer! Galiläer! Was habt ihr getan?!
Julianus Apostata, eigentlich Flavius Claudius Iulianus oder Julian II (331 - 363 n. Chr.) war von 360 bis 363 römischer Kaiser. Er war ein Neffe Kaiser Konstantins des Großen und Vetter von Constantius II, der, als Julianus gerade mal fünf Jahre alt war, alle seine Verwandten ermorden ließ, um an die Macht zu kommen. Nur Julianus und sein älterer Bruder Gallus werden wegen ihres Alters verschont und in Gefangenschaft von dem gelehrten Eunuchen Mardonios und christlichen Lehrern erzogen. Julian liebt die alten Philosophen und beginnt die christliche Lehre, ihre Engstirnigkeit und Abkehr vom Leben und allem was Schön ist, zu hassen. Er spielt das Spiel mit, heuchelt Frömmigkeit, und gibt sich als gelehrter Bücherwurm, um zu überleben, denn sein Bruder Gallus wird, nachdem er einige Jahre Caesar war, letztendlich doch auf Befehl Constantinus II geköpft. 355 erwischt diese zweifelhafte Ehre zum Caesar ernannt zu werden auch ihn, und er wird auf einen Feldzug gegen die Gallier und Germanen geschickt, in der Hoffnung, dass der Gelehrte Philosoph dort einen ehrenvollen und baldigen Tod findet. Julianus jedoch überlebt, erfüllt seine Aufgabe und gewinnt die Truppen für sich, die gegen Constantinus II rebellieren, der kurz darauf an einem Schlaganfall stirbt und so einen Bürgerkrieg vermeidet. Als Kaiser hat Julianius nur noch ein Ziel, die Vernichtung des verhassten Christentums, und die Rückkehr zum Hellenismus. Aber der Zeitgeist ist gegen ihn.
Dieser historische Roman des russischen Schriftstellers Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski, übersetzt von Alexander Eliasberg, war Anfang der 1920er Jahre ein Bestseller. Er ist der erste Teil der Christ und Antichrist Serie, gefolgt von „Leonardo da Vinci“ und „Peter und Alexej“ ist aber ein in sich geschlossener Roman.
Obwohl das Buch schon fast 100 Jahre alt ist, merkt man ihm sein alter sprachlich nicht an. Die Sprache ist modern, moderner sogar, als heute in vielen historischen Romanen üblich. Erfrischend ist vor allem, diese eher vernachlässigte Epoche des Umbruchs vom Hellenismus zum Christentum, in der sich die Autoren meist nur mit Constantin dem Großen befassen. Typisch christlich haben die Sieger den Massenmörder Constantin I zum Großen stilisiert und den Philosophen Julianus II zum Apostaten und so auch mehr oder minder aus der christlichen Geschichtsschreibung und Erinnerung getilgt.
Der Autor geht mit den Christen und dem Christentum begrüßenswert hart ins Gericht. Ein Haufen aufgesplitterter Klein- und Kleinstsekten, die sich wegen Kleinigkeiten gegenseitig bekriegen, wenn sie nicht gerade aktiv den Tod suchen und es nicht sonderlich mit der Hygiene haben:
„Zuweilen stürzten sich ganze Haufen von Anhängern dieser Sekte unter Absingen von Psalmen in Abgründe; sie behaupteten, daß der zur Ehre des Höchsten begangene Selbstmord die Seele von allen Sünden reinige. Das Volk verehrte sie als Märtyrer, vor dem Selbstmorde gaben sie sich allen möglichen Genüssen hin – aßen, tranken und vergingen sich an Weibern. Viele von ihnen gebrauchten statt des von Christus verbotenen Schwertes schwere Keulen, mit denen sie mit ruhigem Gewissen, »im Einklang mit der Schrift«, die Heiden und die Ketzer totschlugen; während sie Blut vergossen, schrien sie: »Ehre sei Gott!«“
Julianus versucht diese Splittergruppen gegeneinander auszuspielen und sie mit ihren eigenen Lehren zu schlagen:
„Warum empört ihr euch dann gegen mich? Wenn ich euch den Besitz, den ihr bei euren eigenen Brüdern, den Ketzern, oder aus den hellenischen Tempeln geraubt habt, wegnehme, so bringe ich euch nur auf den Weg der heilsamen Armut, der doch ins Himmelreich führt, zurück ...«“
Julianus erkennt die böse Ironie des Schicksals „Das ist doch wirklich der Gipfel von Wahnsinn und Ruhmlosigkeit, wenn die Nachkommen der Hellenen, die den Plato und Homer lesen, – o Schmach und Schande! – zu einem verworfenen Volke, das Vespasianus und Titus beinahe ausgerottet haben, laufen, um einen toten Juden anzubeten! ... Und ihr wagt es noch, uns Götzendiener zu nennen!«“
Genau wie heutige Atheisten kann er nicht verstehen, warum die Christen sich ein Folterwerkzeug als Schmuckstück um den Hals hängen: „Ist es denn nicht vernünftiger, ein herrliches Werk des Phidias anzubeten, als sich vor zwei kreuzweise übereinandergelegten Balken, vor einem schändlichen Marterwerkzeuge zu verbeugen?“
Das Buch erzählt vom letzten verzweifelten Aufbäumen eines aufgeklärten Philosophen, gegen die primitive, rückständige Religion der Galiläer, die Europa für Jahrhunderte in Dunkelheit und Unwissen stürzen sollte. Seine Vorgänger hatten jedoch bereits ganze Arbeit geleistet und er stand allein gegen einen neuen Zeitgeist. Teilweise wirkt die Geschichte wie eine der dystopischen Bodysnatcher Romane, in denen die letzten vernünftigen Menschen sich gegen Aliens wehren und doch unterliegen und letztendlich zu einem von ihnen werden. Widerstand ist Zwecklos, sie werden assimiliert werden.
Ein sehr gelungenes Portrait dieser Zeit, jedoch definitiv nicht das, was man heutzutage als historischen Roman ansieht. Es gibt keine Liebesgeschichte, zumindest keine richtige, die Frauen, selbst Julianus Ehefrau lieben nur einen: Gott. Auch seine zweite Liebe steht eher auf Jesus als Julianus und will lieber Nonne sein als Kaiserin. Auch wenn Julianus soweit die Hauptperson der Handlung ist, gibt es immer wieder kleine Erzählstränge, die Zeitgenossen und andere Nebenfiguren behandeln. Keine der Figuren ist wirklich lebendig, keine eine Identifikationsfigur. Die Protagnisten bleiben blass und teils eher leblos und fern. Dennoch ist dieser Roman nie langweilig, denn man kann auch eine gute Geschichte erzählen, indem man ein Panorama der Zeit entwirft, in dem verschiedene Personen zu Wort kommen und ihre Perspektive beitragen.
Ja, der Roman hat ein paar heftige historische Fehler. So sitzt der Autor dem Aberglauben auf, die Germanen hätten Hörner oder Geweihe an ihren Helmen befestigt, dabei sind diese eine Erfindung Richard Wagners. Es wurden sicherlich nie Zebras vor Schlachtenwagen gespannt, die lassen sich nämlich meines Wissens nicht zähmen.
„Von allen Ecken und Enden der Welt strömen die schwarzen Mönche, wie die Raben, zum weißen Marmorleib des Hellas zusammen, picken an ihm wie an einem Aas, und krächzen frohlockend: ›Hellas ist tot!‹ Hellas kann aber nicht sterben. Hellas ist hier, in unseren Herzen. Hellas ist die göttliche Schönheit des Menschen auf Erden. Hellas wird auferstehen – wehe dann den galiläischen Raben!“