Bald's Augensalbe
Wenn die Altanglistik in Kooperation mit Biologen multiresistente Keime mit alter Naturmedizin besiegt
2015, als ich auch gerade Anglistik studierte, hatte die Universität Nottingham ein spannendes altenglisches Projekt: Projekt Ancientbiotics.
Man wollte Bald's Leechbook, ein altes Medizinbuch aus der British Library übersetzen.
Die Altanglisten versuchten ein tausend Jahre altes angelsächsisches Mittel gegen Augeninfektionen aus Bald's Leechbook zu übersetzen. Einige der Wörter waren aber nicht eindeutig und man konnte die Bestandteile nicht exakt identifizieren.
Dr. Christina Lee, Expertin für angelsächsische Sprache an der School of English, holte sich daher Hilfe bei den Mikrobiologien ihrer Uni.
AncientBiotics - a medieval remedy for modern day superbugs? - The University of Nottingham
1,000-year-old onion and garlic eye remedy kills MRSA - BBC News
Die Mikrobiologen fingen an, die Mischung zusammenzubrauen und zu untersuchen.
Das Rezept verlangt gleiche Mengen („begea emfela“) der Allium-Arten und gleiche Mengen an Wein und Ochsengall, aber es ist nicht klar, ob diese beiden Mengenpaare einander gleich sind oder ob die Zutaten nach Gewicht oder Volumen gemessen wurden.
Wir haben uns entschieden, alle Zutaten des Rezepts in gleichen Mengen zu kombinieren.
Für die Rezepte der kompletten Augensalbe wurden
25 ml geschälte, fein gehackte Knoblauchzwiebeln mit
entweder 25 ml geschälten, fein gehackten gelben Zwiebeln oder 25 ml fein gehacktem Lauch (Blätter) gemischt
und diese Zutaten mit einem Mörser und Stößel 2 Minuten lang zerstoßen (das Rezept verlangt, dass es gut zerstoßen wird: „gecnuwe wel tosomne“).
Das Gemüse wurde frisch in einem Gemüseladen gekauft.
Zu den zerkleinerten Alliumblättern wurden 25 ml Wein (Pennard Organic Wines) gegeben; wir haben einen englischen Bio-Weißwein verwendet, der von einem Weingut in der Nähe des Dorfes Panborough in Somerset hergestellt wird: Aus einer Urkunde aus dem Jahr 956 geht hervor, dass das angelsächsische Kloster St. Mary's Abbey in Glastonbury Landrechte an einem Weinberg in Panborough besaß.
Anschließend wurden 25 ml Rindergallensalze (Fluka/Sigma Aldrich) in einer Konzentration von 87 mg-ml-1 in Wasser gelöst zugegeben; dies entspricht der natürlichen Konzentration von Gallensalzen in der Rindergalle (Quelle: Sigma Aldrich Technical Support).
Die Mischung aus Allium, Wein und Oxgall wurde in eine sterile 250-ml-Duran-Flasche gegeben, und in Anlehnung an die Überlegungen von Brennessel et al. wurden neun saubere und sterile 15-mm-Quadrate aus 0,51-mm-260-Messingblech (Hypertriton, Inc., Kanada) in die Flasche gegeben, um das Gefäß aus Kupferlegierung („arfæt“) zu simulieren.
Der Deckel wurde verschlossen und die Flasche in Folie eingewickelt (da das Originalgefäß nicht durchsichtig war und wir nicht wussten, ob Inhaltsstoffe lichtempfindlich waren).
Die Rezepte, die mit ES-O für die Version mit Zwiebeln und mit ES-L für die Version mit Lauch gekennzeichnet sind, wurden dann 9 Tage lang bei 4 °C im Kühlschrank aufbewahrt. Die Angelsachsen verfügten zwar nicht über Kühlschränke, aber auch nicht über zentral beheizte Gebäude: Wir gingen davon aus, dass die täglichen Schwankungen der Umgebungstemperatur im Labor, die durch die Heizung während der Arbeitszeit verursacht werden, wahrscheinlich weniger realistisch waren als eine konstante kühle Temperatur.
Das Mittel tötete wiederholt etablierte S. aureus-Biofilme in einem In-vitro-Modell für Weichteilinfektionen ab und tötete Methicillin-resistente S. aureus (MRSA) in einem chronischen Wundmodell der Maus. Das Mittel enthielt zwar mehrere Inhaltsstoffe, von denen bekannt ist, dass sie einzeln eine gewisse antibakterielle Wirkung haben, aber die volle Wirksamkeit erforderte die kombinierte Wirkung mehrerer Inhaltsstoffe, was die Gelehrsamkeit vormoderner Ärzte und das Potenzial alter Texte als Quelle für neue antimikrobielle Wirkstoffe unterstreicht.
A 1,000-Year-Old Antimicrobial Remedy with Antistaphylococcal Activity - PMC
Das 1.000 Jahre alte Rezept tötet nachweislich eine Reihe von Mikroben ab, unter anderem Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli (E. coli) und Leishmaniose.
Bald’s Leech Book | The Recipes Project
2018 schaute man sich genauer an, welche Inhaltsstoffe die besten Effekte zeigten und notwendig waren und welche nicht unbedingt benötigt wurden.
“Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass weder Lauch noch Zwiebel für die antibakterielle Wirksamkeit von Bald's Augensalbe gegen S. aureus oder P. aeruginosa erforderlich sind. Allicin wurde zwar als der wichtigste antibakterielle Wirkstoff identifiziert, seine Aktivität wird jedoch durch die Anwesenheit zusätzlicher Inhaltsstoffe von Bald's Augensalbe bei der Anwendung gegen S. aureus im Vergleich zu P. aeruginosa unterschiedlich beeinflusst.”
Die Augensalbenformulierung ES-GBBr von Bald wies die größte antibakterielle Aktivität gegen S. aureus und P. aeruginosa auf.
Wie haben festgestellt, dass sich die bakterizide Aktivität auf eine Reihe von gramnegativen und grampositiven Wundpathogenen in Planktonkulturen ausdehnt und, was entscheidend ist, dass diese Aktivität gegen Acinetobacter baumannii, Stenotrophomonas maltophilia, Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis und Streptococcus pyogenes in einem Weichteilwund-Biofilmmodell erhalten bleibt. Während das Vorhandensein von Knoblauch in der Mischung die Aktivität gegen planktonische Kulturen erklären kann, hat Knoblauch keine Aktivität gegen Biofilme. Wir haben festgestellt, dass die starke Anti-Biofilm-Aktivität von Bald's Augensalbe nicht auf einen einzelnen Inhaltsstoff zurückgeführt werden kann, sondern die Kombination aller Inhaltsstoffe erfordert, um die volle Wirkung zu erzielen. Unsere Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur einzelne Wirkstoffe, sondern auch Mischungen von Naturstoffen zur Behandlung von Biofilminfektionen zu untersuchen, und unterstreicht die Bedeutung der Arbeit mit Biofilm-Modellen bei der Erforschung von Naturstoffen für die Anti-Biofilm-Pipeline.
Die Wissenschaftler testeten das Sicherheitspotenzial von Bald's Augensalbe anhand von In-vitro-, Ex-vivo- und In-vivo-Modellen, die für Haut- oder Augeninfektionen repräsentativ sind. Wir bestätigten auch, dass Bald's Augensalbe gegen einen wichtigen Augenerreger, Neisseria gonorrhoeae, wirksam ist. Bei den mit Augensalbe behandelten Zelllinien, die für Haut- und Immunzellen repräsentativ sind, wurde ein geringes Maß an Zytotoxizität festgestellt. Die Ergebnisse eines Hornhauttrübungs- und Durchlässigkeitstests bei Rindern zeigten eine leichte Reizung der Hornhaut, die innerhalb von 10 Minuten abklang. Der Schleimhautreizungstest bei Schnecken ergab, dass die Schnecken eine geringe Menge Schleim absondern, was auf eine mäßige Schleimhautreizung hindeutet. Wir erhielten vielversprechende Ergebnisse aus Experimenten zum Wundverschluss bei Mäusen; es wurden keine sichtbaren Anzeichen einer Reizung oder Entzündung beobachtet. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Balds Augensalbe weiter an menschlichen Freiwilligen getestet werden könnte, um die Sicherheit der topischen Anwendung gegen bakterielle Infektionen zu bewerten.
The safety profile of Bald's eyesalve for the treatment of bacterial infections - PubMed
In Deutschland wurde damals auch darüber berichtet:
Balds Leechbook: Mittelalter-Rezeptur als Antibiotika - DER SPIEGEL
Bald's Leechbook: Eine mittelalterliche Augensalbe gegen MRSA - Forschergruppe Klostermedizin
Fantastisch! Ein alter Imker aus dem Odenwald hat mir seine Salbe gegen Athrtisschmerzen gegeben, die unter anderem Propolis, Kampfer und Teufelskralle enthält. Ich war sehr skeptisch, aber dachte, warum nicht. Wirkt! Besser als Voltaren. Habe ich Covid zu verdanken. Seit man mir das Teufelszeug spritzen wollte, betrachte ich alles von der Pharmaindustrie mit Misstrauen. Würde mich sehr, sehr interessieren, was die Leute in früheren Jahrhunderten noch so alles wußten. Empfehle den midwestern doctor hier auf Substack, der sich mit "vergessenen" Erkenntnissen beschäftigt.
Interessant. Allerdings: irgendwo gekaufter Knoblauch? Dürfte sehr variabel sein, was man da erwirbt. Seit über 5 Jahren schon bekomme ich fast keinen Knoblauch mehr, der als solcher zu bezeichnen wäre. Von teurem "Bio"-Knoblauch aus China bekomme ich Brechdurchfall. Vom normalen spanischen bekomme ich Magenkrämpfe. Momentan vertrage ich spanischen Bio-Knoblauch, der schmeckt wie normaler Knoblauch früher (also so vor mehr als 5 Jahren) schmeckte. Fast nichts mehr an Obst oder Gemüse ist in der ehemals natürlichen und ungiftigen Form erwerbbar.